Durch eine Lüge bewirkte Thüringens Umweltminister kurz vor der Amtsübergabe die Erweiterung von Kern- und Pflegezonen des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön. Das kam einem Landraub gleich.
Es war ein Coup der perfiden Art. Wir sind im Herbst 2024: Nur wenige Wochen bevor er sein Amt als Umweltminister abgeben muss, narrt Bernhard Stengele, der aus dem oberschwäbischen Kißlegg stammende Schauspieler, Regisseur und Gerade-noch-Umweltminister Thüringens, die Bürgermeister der Rhön, indem er sie vor vollendete Tatsachen stellt.
Riesige Flächen ihrer Gemeinden, die bis dahin in sogenannten Entwicklungszonen des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön liegen, sind ab sofort Teil von Kern- oder Pflegezonen und dürfen nicht mehr wie gewohnt bewirtschaftet werden. Es ist ein Schlag ins Gesicht jedes Kommunalpolitikers, der bis dahin dachte, dass er ein Wörtchen mitzureden habe, was in seiner Gemeinde geschieht.
Trotz der irren Zahl von rund 1.400 (!) Eingaben und einer von 21 Bürgermeistern und zwei Landräten unterzeichneten Petition trat am 1. Oktober eine Verordnung über die Erweiterung von Kern- und Pflegezonen im Thüringer Teil des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön in Kraft.
Quasi über Nacht wurden kommunale und private Grundstückseigentümer in ihren Rechten beschnitten. Insbesondere Land-, Forst- und Bauwirtschaft sind betroffen.
Mit einem Bein in der Öko-Diktatur
Pikant: Begründet wurde dies ganz offensichtlich mit einer Lüge. Denn Bernhard Stengele ließ erklären, dass die Kern- und Pflegezonen des UNESCO-Biosphärenreservats auf der Thüringer Seite zu vergrößern seien, weil die UNESCO das so wolle.
Der SPHÄRMAN sagt: Das stimmt offenbar nicht. Und: Wenn Umweltpolitiker lügen, um ihre Ziele zu erreichen, stehen wir mit einem Bein in der Öko-Diktatur.
[ERKLÄRUNG: Die Kernzone eines UNESCO-Biosphärenreservats ist ein streng geschützter Bereich, der der Erhaltung der natürlichen Lebensräume, Artenvielfalt und ökologischen Prozesse dient. Diese Zone ist das Herzstück eines Biosphärenreservats. Die Pflegezone (auch Pufferzone genannt) ist eine zentrale Zone in einem UNESCO-Biosphärenreservat, die die Kernzone umgibt und sie schützt. Sie dient als Übergangsbereich zwischen der streng geschützten Kernzone und der wirtschaftlich genutzten Entwicklungszone.]
Zur Vorgeschichte des Thüringen-Coups. Im August 2023, also mehr als ein Jahr vor Inkrafttreten von Stengeles Verordnung, versammeln sich Bürgermeister und Landräte in Bad Salzungen (liegt im Wartburgkreis in Thüringen) zum gemeinsamen Fototermin.
Anlass ist die Unterzeichnung einer Petition, in der die geplante Erweiterung von Kern- und Pflegezonen im Thüringer Teil des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön aufgehalten werden soll. Die Stimmung ist optimistisch.
Der von 21 Rhön-Bürgermeistern und den Landräten von Wartburgkreis und Schmalkalden-Meiningen paraphierte Hilfeschrei wird von 1.400 Einwendungen aus der Region gestützt, die beim grün geführten Umweltministerium in Erfurt eingehen. Es nützt alles nichts.
Die Verordnung tritt am 1. Oktober 2024 in Kraft. Genau vier Wochen nach der Landtagswahl, bei der die Grünen erheblich Federn lassen und letztendlich aus der Regierung fliegen.
Heute steht ein BSW-Politiker und Nebenerwerbsbauer mit etwas Wald und Stasi-Vergangenheit an der Spitze des Umweltministeriums, der als Bürgermeister von seinem eigenen Stadtrat aus dem Amt gejagt wurde. Sein Name: Tilo Kummer. Im Amt heißt es hinter vorgehaltener Hand: Hauptsache, Stengele ist weg.
Dreister Verwaltungsakt
Durch Stengeles Verordnung verdoppelt sich dank der Stilllegung von 750 Hektar Staatsforst die Kernzonenfläche im Thüringer Teil der UNESCO-Biosphäre Rhön auf rund drei Prozent. Die Pflegezonen wachsen durch die Zwangsumwidmung privater und kommunaler Flächen von 9 Prozent auf rund 18 Prozent. Völlig unnötig, denn länderübergreifend mit den hessischen und bayrischen Flächen werden die UNESCO-Vorgaben bereits übererfüllt.
[ERKLÄRUNG: Am 6. März 1991 wurde der Großteil des Mittelgebirges Rhön länderübergreifend von der UNESCO als Biosphärenreservat anerkannt. Der thüringische Teil war bereits 1990 im Rahmen des Nationalparkprogramms der DDR als Biosphärenreservat ausgewiesen worden. Am 12. Juni 2014 wurde das UNESCO-Biosphärenreservat Rhön auf bayerischer Seite um weitere 58.000 Hektar erweitert. Das Biosphärenreservat umfasst heute eine Gesamtfläche von 243.323 Hektar, davon 129.585 Hektar in Bayern, 64.828 Hektar in Hessen und 48.910 Hektar in Thüringen.]
Wie ist dist diese Entscheidung möglich geworden und was geschah mit den vielen Einwendungen aus dem Beteiligungsverfahren mit Bürgern, Kommunen und Landwirten, die das Ministerium bearbeiten wollte?
Auf der Homepage des Thüringer Umweltministeriums steht: „Jeder Absender und jede Absenderin erhält eine Mitteilung, wie mit der Stellungnahme verfahren wurde.“ Dazu sagt Meiningens Bürgermeister Fabian Giesder im Herbst 2024: „Diese sind bisher unbeantwortet geblieben.“
Ist der dreiste Verwaltungsakt in der Rhön das letzte politische Signal eines fanatischen Öko-Aktivisten oder handelte Bernhard Stengele nach ideologischem Kalkül? Die Frage ist nicht unwichtig, denn auch in Oberschwaben-Allgäu werden zweifelhafte Versprechen gemacht.
Hohles Demokratiegeplapper
Behördenchefs und Politiker (nicht nur aus dem grünen Lager) beschwören landauf, landab das Selbstbestimmungsrecht der Kommunen und betonen, wie wichtig ihnen die Mitsprache der Gemeinden sei. Aber hinter den schwäbischen Kulissen werden Bürgermeister in Stellung gebracht, die ihre Räte auf Stuttgarter Linie bringen.
Ist alles nur eine Farce? Das Beispiel Thüringen lässt für Oberschwaben-Allgäu nichts Gutes ahnen. Der SPHÄRMAN denkt über Bernhard Stengele und seinen Biosphärencoup in Thüringen: Was für ein starkes Stück, das jedes Demokratiegeplapper der Politik ziemlich hohl wirken lässt.
Worauf berief sich der amtierende Umweltminister Bernhard Stengele, als er seine Verordnung erließ Offensichtlich auf Falschbehauptungen aus dem eigenen Hause.
In einem Faltblatt des Erfurter Ministeriums steht: Das UNESCO-Biosphärenreservat Rhön gilt weltweit als eines der erfolgreichsten Biosphärenreservate. Die internationale Anerkennung als UNESCO-Biosphärenreservat bringt es mit sich, dass in regelmäßigen Abständen alle 10 Jahre eine Evaluierung durch die UNESCO stattfindet, bei der überprüft wird, ob das Biosphärenreservat den internationalen Kriterien entspricht. Derzeit ist das noch nicht der Fall. Im Thüringer Teil des Biosphärenreservates ist dafür zu wenig Kern- und Pflegezone vorgesehen. Um die Anerkennung der UNESCO zu behalten, muss die Zonierung geändert werden, daher ist eine Aktualisierung der Thüringer Verordnung über das Biosphärenreservat Rhön erforderlich. Darin sollen die bestehenden Kernzonenflächen von etwa insgesamt 1,5% der Gesamtfläche auf die erforderliche Mindestgröße von 3% erweitert werden, die der Pflegezonen von rund 9% auf 17%. Damit würde die fachliche Vorgabe der UNESCO, dass die Kern- und die Pflegezonen zusammen mindestens 20% der Gesamtfläche einnehmen, erfüllt. Verantwortlich für diesen Text zeichnet der Pressesprecher des Umweltministeriums.
Frecher Trick
Was ist dran an der Behauptung, dass dem UNESCO-Biosphärenreservat Rhön auf der Seite Thüringens Flächen für Kern- und Pflegezonen fehlen?
Der SPHÄRMAN beschäftigt sich nun seit über einem Jahr mit dem Thema Biosphärenreservat und hat das UNESCO-Regelwerk aufmerksam studiert. Und er behauptet: Das, was da oben steht, ist Bullshit und ein frecher Trick.
Denn das vermeintliche Mindestflächen-Gebot für Thüringen und andere Biosphären-Teilstücke wird zwar von grünen Politikern, dem BUND (Bund für Naturschutz Deutschland) und anderen Organisationen behauptet, aber von der UNESCO keinesfalls als Bedingung für die Siegel-Vergabe diktiert. Die Mär ist eine Erfindung deutscher Umweltaktivisten in NGOs, Behörden und Politik und sehr leicht zu widerlegen.
Denn in der UNESCO-Bibel für Biosphärengründer Technical guidelines for biosphere reserves (SC-EES/22/1 Rev.), herausgegeben vom Man and the Biosphere Programme (MAB), steht auf Seite 35: Eine weltweit gültige Mindestgröße für eine Kernzone gibt es nicht. Allerdings können Länder (z.B. Österreich oder Deutschland) nationale Kriterien für Kernzonen festlegen, die einen Mindestprozentsatz der Gesamtfläche des Biosphärenreservats vorsehen.
Dasselbe gilt auch für Pflegezonen. Heißt: Der UNESCO ist es wumpe, wie viel Fläche Kern- und Pflegezonen abdecken. Hauptsache die Schutzfunktion in der jeweiligen Zone ist gewährleistet. Die Vergabe des UNESCO-Siegels ist keinesfalls an konkrete Flächenmaße gebunden.
Die UNESCO weiter im Originalton: Im Allgemeinen ist die Anzahl oder Größe von Kernzonen kein Leistungskriterium für ein Biosphärenreservat. Von größerer Bedeutung ist die Qualität des Managements der Kernzonen und ihr Beitrag zum Erhalt der biologischen und/ oder biokulturellen Vielfalt und die allgemeine Erfüllung der Hauptfunktionen des Biosphärenreservats. Das alles kann man detailliert im oben genannten Dokument nachlesen.
Lediglich das deutsche MAB-Nationalkomitee, das aus dem Berliner Bundesministerium für Umwelt gesteuert wird, gibt vor, dass Kernzonen insgesamt mindestens 3%, Pflegezonen mindestens 10% und beide zusammen mindestens 20% der Gesamtfläche eines deutschen UNESCO-Biosphärenreservats bedecken sollen. Die Anerkennung eines Biosphärenreservats durch die UNESCO gibt es in Deutschland nur bei Einhaltung der Regeln des deutschen MAB-Nationalkomitees. Von Biosphären-Teilstücken ist aber nirgendwo die Rede. Ganz im Gegenteil.
Im MAB-Leitfaden Kriterien für die Anerkennung und Überprüfung von Biosphärenreservaten der UNESCO in Deutschland steht: „Da Biosphärenreservate dem Schutz und der Pflege von Natur- und Kulturlandschaften in besonderem Maße verpflichtet sind, müssen Kern- und Pflegezone zusammen mindestens 20 % der Fläche eines Biosphärenreservates – unabhängig von politischen Grenzen – einnehmen.“
Als der SPHÄRMAN das las, glaubte er zunächst seiner eigenen Recherche nicht und fragte vorsichtshalber bei der deutschen UNESCO-Kommission nach: „Es gibt die Aussage, dass im Falle von grenzüberschreitenden Biosphärenreservaten (gemeint sind Landesgrenzen und Staatsgrenzen) das Minimum für Kernzonen (3% der Gesamtfläche) und Pflegezonen (17% der Gesamtfläche) für jedes teilhabende Land oder jeden Staat separat auszuweisen sind, andernfalls geht das UNESCO-Siegel verloren. Können Sie das bestätigen?“ Die Antwort der UNESCO kam ganz schnell: „Das ist nicht korrekt.“
Hat das Ministerium tatsächlich gelogen?
Hat das Ministerium von Ex-Minister Bernhard Stengele und dessen Staatssekretär Burkhard Vogel (ebenfalls Grüner und ehemaliger BUND-Funktionär, der mit den aufsässigen Bürgermeistern der Rhön verhandelte) tatsächlich gelogen, als es die Notwendigkeit der Zonenerweiterung propagierte und den drohenden Verlust des UNESCO-Siegels ins Fenster stellte? Ja, so sieht es aus.
Der SPHÄRMAN konfrontierte Bernhard Stengele mit dem Vorwurf der Lüge und bat um eine Stellungnahme. Antwort: nix.
[ERKLÄRUNG: Biosphären-Fan Bernhard Stengele (geboren 1963 in Wangen im Allgäu) ist ein deutscher Schauspieler, Regisseur, Theaterleiter und Politiker (Bündnis 90/Die Grünen). Die Kindheit verbrachte Stengele mit vier Geschwistern in Kißlegg, wo der Vater eine Schreinerei betrieb und Bruder Erwin heute einer der größten Arbeitgeber ist. Katholisches Internat, Abitur in Wangen, dort erste Kontakte zum Theater. Ende der 1990er-Jahre spielte Stengele in drei Tatort-Filmen mit. Erst 2017 trat Bernhard Stengele den Grünen bei. Von Februar 2023 bis Dezember 2024 war er Thüringer Minister für Umwelt, Energie und Naturschutz und zweiter stellvertretender Ministerpräsident im Kabinett Ramelow II. Stengele absolvierte seine Schauspielausbildung in Paris und wurde 1992 Ensemblemitglied am Stadttheater Konstanz. 1996 wechselte er ans Saarländische Staatstheater in Saarbrücken, wo er auch mit ersten Regiearbeiten aufwartete. 2001 ging er wieder nach Konstanz. Von 2004 bis 2012 war er Schauspieldirektor am Mainfranken Theater Würzburg. 2012 bis 2017 wirkte er in Altenburg und Gera und besetzte den Hauptmann von Köpenick mit einem schwarzen Schauspieler. 2017 übernahm er die Leitung des Sommertheaters Überlingen. Anschließend arbeitete er im Betrieb seines Bruders als Berater für Nachhaltigkeit und wirkte beim Entwicklungsprozess eines ökologischen tiny house mit. Nachdem die bisherige thüringische Umweltministerin Anja Siegesmund aus persönlichen Gründen und auf eigenen Wunsch Ende Januar 2023 aus allen ihren Staatsämtern geschieden war, wurde Stengele am 1. Februar 2023 als ihr Nachfolger vereidigt. Mit dem Amtsantritt des Kabinetts Voigt schied er am 13. Dezember 2024 aus dem Ministeramt aus. Stengele lebt in Erfurt und hat gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin ein kleines Kind.]
Was bedeutet die neue Verordnung für die Wirtschaft in der Rhön? „Das beschneidet die Grundstückseigentümer enorm“, sagt Kaltennordheims Bürgermeister Erik Thürmer, mit dem der SPHÄRMAN schon oft telefonierte, denn Thürmers Erfahrungsschatz ist wichtig, wenn man wissen will, was auf Oberschwaben-Allgäu zurollt.
Unter anderem ist es in den Pflegezonen untersagt, bauliche Anlagen neu zu errichten oder bestehende wesentlich zu ändern.
Auch die Landwirtschaft wird mit Einschränkungen konfrontiert. Der Thüringer Bauernverband ist alarmiert. Die Agrargenossenschaft Rhönperle befürchtet zum Beispiel, dass sie auf 16% ihrer Nutzflächen nicht mehr so wirtschaften kann, wie bisher gewohnt.
Ist Thekla Walker auch so drauf?
Ferner darf in den stillgelegten Staatsforsten jetzt kein Holz mehr geerntet werden. Importe aus dem Ausland sind notwendig. Zum Beispiel aus der Slowakei, erklärt Geisas Bürgermeisterin Manuela Henkel, die ebenfalls zu berichten weiß, dass man bei der UNESCO der Meinung sei, die Flächen für Kern- und Pflegezonen an der Rhön reichten völlig aus. Das deckt sich präzise mit den Recherchen des SPHÄRMAN.
Was ist das für ein Irrsinn, fragt man, und wundert sich immer weniger über die Politikverdrossenheit der Bürger. Menschen wie Bernhard Stengele tragen dazu bei, dass das Modell der westlichen Demokratie an Glaubwürdigkeit verliert.
Ist Stengeles Parteifreundin und Umweltministerin in Baden-Württemberg Thekla Walker auch so drauf? Das erfahren wir vielleicht erst, wenn es zu spät ist.
Als der SPHÄRMAN nach Abschluss seiner Recherchen Bürgermeister Erik Thürmer (CDU) in Kaltennordheim anruft und ihm darlegt, wie er und die anderen Bürgermeister der Rhön belogen wurden, reagiert der erstaunlich gelassen: „So ist eben das politische Geschäft.“