Der SPHÄRMAN reiste ins Grenzland zwischen Oberschwaben und Allgäu und berichtet über eine denkwürdige Redeveranstaltung, in der es um die Biosphärenpläne der Regierung ging.
[Warnung an Leser: In diesem Newsletter kommt das Wort „Lüge“ und bedeutungsähnliche Begriffe ziemlich oft vor. Politiker und leitende Beamte könnten sich gestört fühlen.]
Die Waldbesitzergenossenschaft Genoholz mit ca. 7.000 Mitgliedern aus den Regionen Allgäu, Oberschwaben, Bodensee hatte zur jährlichen Generalversammlung eingeladen. Die Genossen sind hauptsächlich Kleinwaldbesitzende (so nennt man das bei Genoholz), die nicht über ausreichend Kapazitäten verfügen, um ihr Holz selbst zu ernten und zu vermarkten. Auch ein paar Kommunen mit Waldbestand sind dabei. Das ist wichtig zu wissen, damit man den skurrilen Verlauf des Abends versteht.
Auf dem Programm steht der Biosphärenvortrag von einem gewissen Franz Schönberger, ein Landwirt, zugleich Anbieter von Ferienzimmern und Aktivist in der sogenannten „Allianz der Landeigentümer und Bewirtschafter“, die eine kritische Gegenposition zum geplanten Biosphärenreservat Oberschwaben-Allgäu vertritt. Zu dieser „Allianz“ gehören Forstwirte, Waldeigentümer, Landwirte und ihre Verbände, die sich vor einem Biosphärenreservat Oberschwaben-Allgäu bedroht fühlen.
Unproduktiver Unfrieden
Es ist kein Geheimnis, dass sich unter den Biosphärenrebellen berühmte Adelsfamilien befinden, allen voran der streitbare Fürst Erich von Waldburg-Zeil. Aber auch kleine Waldbesitzer und Mitglieder von Genossenschaften sind in der „Allianz“ vertreten. Längere Zeit traute man dem bunten Haufen kein einheitliches Vorgehen zu, da die Interessenlage innerhalb der Gemeinschaft alles andere als homogen ist. Umso überraschender war der Aufschrei, der im April 2024 via Pressemitteilung die Öffentlichkeit erreichte.
Darin fordert die „Allianz“ von der Politik: Stoppen Sie den Prüfprozess mindestens so lange, bis ein positives Votum der Bürgermeister, die gesicherte Kartengrundlage und die Exit-Klausel für die Gemeinden vorliegt. Ein Einfach-weiter-so ist unverantwortlich gegenüber den Menschen in dieser Region. Es ist Verschwendung von Steuergeldern, die in vielen anderen Bereichen dringend gebraucht werden. Es ist Blockieren von Personal, das an vielen Stellen wertvoller eingesetzt werden kann. Es erzeugt weiter einen unproduktiven Unfrieden zwischen Landeigentürmen und Naturschutz bzw. Kommunen. Es gibt zurzeit so viele Herausforderungen, dass wir unsere Kräfte wirksamer und zielgerichteter einsetzen müssen.
Der SPHÄRMAN dachte sich Da muss ich hin, packte seine Reisetasche und fuhr ins pittoreske Örtchen Wolfegg, wo in einem geräumigen Saal im Gasthof zur Post die Generalsversammlung mit Biosphärenvortrag stattfand.
Offenbar nicht ganz wie geplant. Weshalb ich in diesen Text neben der Schilderung des Abends noch ziemlich viel Hintergrundinformationen reinstopfe. Falls der ein oder andere beim Lesen ein Déjà-vu verspürt: Der SPHÄRMAN nutzt hier ein paar Textabschnitte aus älteren Ausgaben seines Newsletters.
Lokalpolitiker mit Karriereplan
Danach versteht man besser, wie der Parteienstaat mit seinen Klauen bis in die kleinste politische Einheit hineinfummelt, um seine Interessen zu sichern. Willfährige Lokalpolitiker mit eigenem Karriereplan, die eigentlich den Bürgern ihrer Gemeinden verpflichtet wären, kommen ihm dabei zu Hilfe.
Jetzt aber zum Abend im Gasthof zur Post. Der Festsaal des mächtigen Gebäudes ist bereits voll besetzt als der SPHÄRMAN eintrifft. Ich schätze, etwa 200 Waldleute sitzen da. Zum Großteil Männer. Alte und junge. Holz dominiert den hell erleuchteten Raum. Nicht nur das Mobiliar ist aus massivem Holz gezimmert, auch über den Köpfen baumelt ein gewaltiger Holzluster von der Decke und an den Wänden hängen große Holzreliefs.
Die Versammlung ist öffentlich. Auch Menschen ohne Bäume dürfen herein. Glück für den SPHÄRMAN, der nicht mal einen Gummibaum besitz t und geduldig den Ausführungen von Genoholz-Vorstand Sebastian Hornstein lauscht, bevor die Biosphäre thematisiert wird.
Beruhigend für alle Anwesenden: Das Kontoguthaben der Genossenschaft beträgt genau 1.187.899,56 Euro. Ein neuer Onlineshop für Brennholz wird präsentiert. Und der Instagram-Kanal von Genoholz. Applaus. Gratis-Getränke werden serviert. Es gibt Härle-Bier. Ja, ausgerechnet Lügenbrauer Gottfried Härle aus Leutkirch, ein grüner Kommunalpolitiker und glühender Biosphärenwerber, der seinen Betrieb grüner schwindelt als er ist, beliefert die Versammlung von Genoholz mit Bier.
Bier vom grünen Lügenbrauer
Das nenne ich Ironie. Denn wer für die Biosphäre ist, will die Holzwirtschaft erheblich einschränken. Wer meine beiden Härle-Artikel mit erstaunlichen Enthüllungen über diesen Öko-Münchhausen nicht kennt, findet sie → hier und → hier.
Dann leitet Sebastian Hornstein zum Thema Biosphäre über: „Es geht um Eigentum. Ich bin dagegen, dass man uns vorschreibt, was wir in unserem Wald machen. Wir brauchen niemanden, der uns neischwätzt.“
So moderiert Hornstein den Star des Abends an: Franz Schönberger, Diplom-Agraringenieur aus Argenbühl und seit 20 Jahren Agrarberater für Landwirte, Betreiber eines Ferienhofs mit Rinderhaltung, Vorsitzender des Bauernverbands Allgäu-Oberschwaben, Vorstandsmitglied des Landschaftserhaltungsverbands Ravensburg. Kurz: Der Mann hat viel zu tun. Umso erfreulicher, dass er sich Zeit für die Baumleute von Genoholz nimmt.
In Erwartung eines sprühenden Trommelfeuers gegen die Biosphärenpläne aus Stuttgart dehne ich meine Fingerglieder und mache sie beweglich fürs Mitschreiben. Und werde bitterlich enttäuscht. Da gibt es nicht viel zum Mitschreiben. Schönberger projiziert Folie um Folie mit Kleingeschriebenem an die Wand, das man kaum lesen kann, referiert unzählige Details, die kein Gesamtbild ergeben, und äußert Allgemeinplätze wie diesen: „Bürger und Stadtbewohner nehmen den Wald völlig anders wahr als wir.“
Langeweile macht sich breit
Franz Schönbergers Auftritt ist gut gemeint, gerät aber zum Schlag ins Wasser. Sobald es interessant wird, biegt Schönberger ins Kleinklein ab, verzettelt sich und akademisiert vor sich hin. Dabei gäbe es so viele Themen, die unbedingt behandelt werden sollten. Zum Beispiel die Schimäre der Bürgerbeteiligung, von der die Biosphärenwerber ständig faseln. Schönberger: „Die Arbeitskreise haben gar nichts gebracht. Was in den Protokollen steht, ist vergeudete Zeit. Da steht drin, was man sich von Anfang an gewünscht hat, dass es drinsteht….“
Und? Das Reporterherz schlägt höher. Kommt jetzt ein konkretes Beispiel, das die Aussage stützt? Niente. Langeweile macht sich unter den Baumleuten von Genoholz breit. Viele gucken auf ihre Handys. Zum Abschluss fraternisiert Schönberger auch noch mit dem größten Falschspieler im Biosphärenclub. Zitat: „Ich stehe im guten Austausch mit Timo Egger.“ Ratlos blickt der SPHÄRMAN in die Runde. Hat er das richtig verstanden?
Timo Egger ist Bürgermeister von Fleischwangen, der von der Regierung mit einem Schlüsselamt betraut wurde. Denn Egger ist auch noch Vorstandsmitglied und Sprecher der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Biosphärengebiet (KAB), jenem Gremium, dem alle Bürgermeister im Suchgebiet für das Biosphärenreservat angehören.
Der blutjunge (um die 35) und blitzgescheite Verwaltungsfachmann war zu Beginn seiner Karriere stellvertretender Leiter der Kreistagsgeschäftsstelle im Landratsamt Konstanz, sowie stellvertretender Pressesprecher und stellvertretender persönlicher Referent des Landrates.
Eine glatte Lüge?
Unter den Bürohengsten der ausufernden Staatsbürokratie Oberschwabens gilt Egger als Rennpferd und hundertprozentig regierungstreu. Falls er das möchte, dürften Egger Chancen auf ein hohes Amt in Baden-Württemberg winken.
Für einen aufstrebenden Lokalpolitiker wie ihn wirkt das machtpolitische Geflecht Südschwabens wie eine Strickleiter. Wer ans Ziel seiner Wünsche gelangen will, muss an zwei Herren vorbei: Harald Sievers und Klaus Tappeser. Die Kommunale Arbeitsgemeinschaft Biosphärengebiet ist ans Landratsamt Ravensburg angebunden, wo Harald Sievers das Sagen hat und die Bürgermeister seines Hoheitsgebiets mit der Erteilung von Genehmigungen an der kurzen Leine hält. Eine Etage darüber sitzt der machtbewusste Regierungspräsident zu Tübingen, der Klaus Tappeser heißt und über eine Milliarde Euro (!) Fördermittel gebietet, nach denen Kommunen und Bürgermeister gieren. Sowohl Sievers als auch Tappeser sind Amtsträger von Stuttgarts Gnaden. Auf welcher Seite sie im Ringen um das Biosphärenprojekt stehen, dürfte allen klar sein. Und nach wessen Pfeife jeder Bürgermeister tanzt, der in der Gunst der beiden stehen will, sowieso.
Timo Egger sagt über seine Rolle als Sprecher aller Bürgermeister im geplanten Biosphärenreservat eiskalt lächelnd: „Ich bin neutral.“ Ich halte das für glatt gelogen und Egger für einen doppelzüngigen Biosphärenagent des Staates.
Während großer Teile der Veranstaltung sitzt der SPHÄRMAN knapp hinter Timo Egger. Ein Zufall. Dabei fällt sein Blick auf das sorgfältig gepflegte Haupthaar des Bürgermeisters von Fleischwangen. Wie eine Skulptur ist es in einer schwungvollen Spirale vom Nacken aufsteigend bis zur Schädelspitze getrimmt. Gleichsam einer sanften Welle. Jemand muss sehr viel Zeit und Mühe für die Gestaltung dieses Kopfes aufgewendet haben.
Etwas rausgerutscht?
Kurz vor dem Auftritt von Franz Schönberger, nutzt der SPHÄRMAN die Gelegenheit, mit Timo Egger ins Gespräch zu kommen, der auf keine seiner E-Mails reagiert. Für den SPHÄRMAN ist Timo Egger nämlich kein Sprecher, sondern ein Schweiger der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Biosphärengebiet. Für andere, wie zum Beispiel die SchwäZ (Schwäbische Zeitung), plappert Egger fröhlich drauflos.
SPHÄRMAN an Timo Egger: „Warum antworten Sie auf meine E-Mails nicht?“
Timo Egger zum SPHÄRMAN: „XXXXXX XXXXXXXXXXXXX XXX XXXXXXXXXX XXX XX XXXXXXXX XXX XXXXXX.“
Warum ist Eggers Antwort geixt? Weil Timo Egger gleich nach seiner Aussage dem SPHÄRMAN untersagt, ihn zu zitieren. Upsi! Ist ihm da etwas rausgerutscht, was er vielleicht nicht hätte sagen sollen? Nur so viel darf hier verraten werden: Timo Eggers Antwort lässt tief ins Demokratieverständnis dieses Mannes blicken.
Der selbstbewusste Karrierebeamte und Lokalpolitiker Egger ist natürlich nicht der einzige, mit dem der SPHÄRMAN spricht. Unter den Holzmännern, die er an diesem Abend im Gasthof zur Post kennenlernt, befindet sich auch Remig Albrecht aus Isny, ein Holzunternehmer, der mit seinen Forstmaschinen kleinen Waldeigentümern bei der Bewirtschaftung hilft und selbst um die 30 Hektar Wald besitzt.
Remig Albrecht hat schon zwei Vorträge von Franz Schönberger besucht und urteilt höflich: „Für jemanden, der sich als Gegner des Biosphärenreservats ausgibt, wirkt er sehr gemäßigt.“ Was er über die Versprechungen der Biosphärenwerber des sogenannten Prozessteams noch zu sagen hat?
In die Versammlung gebombt
Da muss Remig Albrecht nicht lange überlegen: „Das ist alles völlig naiv. Man lockt uns mit angeblichen Vermarktungschancen durch das Biosphären-Labeling unserer Bäume. So etwas bringt gar nichts, denn wir liefern in den globalen Markt, der von internationalen Konzernen geprägt ist. Da werden Millionen Festmeter eingeschnitten. So ein Biosphären-Label interessiert dort niemanden. Keiner ist bereit, dafür einen Cent mehr zu zahlen.“
Tage später frage ich Genoholz-Vorstand Sebastian Hornstein, was ihn dazu bewog, Franz Schönberger auf seiner Generalsversammlung auftreten zu lassen. Hornstein zum SPHÄRMAN: „Damit locken wir unsere Mitglieder in die Generalversammlung. Die Biosphäre betrifft viele und zieht Publikum.“
Zurück in den großen Saal im Gasthof zur Post. Dort erhebt sich nach Franz Schönberger nun ein zweiter Sprecher, der allerdings nicht auf dem Programm steht: Timo Egger. Nanu, wie kommt es dazu?
Auch das frage ich später Sebastian Hornstein. Antwort: „Egger vertritt die Gemeinde Fleischwangen in der Generalversammlung. Die haben zwei Hektar Wald. Er hat darum gebeten auftreten zu dürfen.“
SPHÄRMAN zu Hornstein: „Hat der sich da reingebombt, um die Position des Staates einzunehmen?“ Hornstein schweigt vielsagend.
Geburt eines Volkstribuns
Nun also zu Timo Eggers Biosphärenbeitrag im Gasthof zur Post. Schwungvoll begibt sich Egger vor das Saalpublikum und beginnt zu sprechen, schmeichelt verführerisch und erhebt sanft drohend den Zeigefinger. Grinst über das ganze Gesicht, dass die vollen Backen mit messerscharf gezogenem Bartansatz lustig zucken, tänzelt mit dem mächtigen Körper um die eigene Achse und scherzt über seine Leibesfülle. Das weckt Sympathien im Publikum.
Dazu die passenden Sprüche…
- über die eigene Rolle: „Glauben Sie mir, ich will hier nicht für das Biosphärengebiet kämpfen.“ MEIN FAZIT: vermutlich gelogen
- über die Grundbesitzer im Suchgebiet für das Biosphärenreservat: „Sie zahlen Gewerbesteuer, die Landschaft wird gepflegt. Es darf keine Verlierer in der Land- und Forstwirtschaft geben.“ MEIN FAZIT: erwartbare Schmeichelei ohne Substanz
- über die bislang hartnäckig ignorierte Frage nach den Möglichkeiten einer Gemeinde aus der Biosphäre auszusteigen: „Ich habe die Aussage, dass ein vorbehaltloses Kündigungsrecht kommt.“ MEIN FAZIT: mit Vorsicht zu genießen
- über die Rolle der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Biosphärengebiet im Auftrag des Landratsamts Ravensburg: „Wir sind nicht der verlängerte Arm von Stuttgart und Brüssel.“ MEIN FAZIT: vermutlich gelogen
usw. Der SPHÄRMAN fühlt sich, als sei er Zeuge der Geburt eines Volkstribuns und spürt den Vorgeschmack des postdemokratischen Zeitalters, an dessen Schwelle wir stehen. Doch das Schauspiel ist noch nicht zu Ende.
Gleich nach den Ausführungen Eggers springt der drahtige Genoholz-Vorstand Roland Sauter vor das Publikum und legt dort einen nur wenige Sekunden dauernden Auftritt hin. Mit dem Mikrophon in einer Hand und wild gestikulierend ruft Sauter in den Saal: „Wir wollen, dass der Prozess fortgeführt wird!“
Wer ist WIR und wie ist diese Aussage zu verstehen? WIR ist entweder Genoholz oder die Gemeinde Argenbühl. Oder beides. Oder spontaner Ausdruck der Verzweiflung, weil da einer nicht genau weiß, wo er hingehört?
Immer noch keine konkreten Pläne
Mit „Prozess“ meint Sauter den sogenannten „Prüfprozess“ und meint damit die langatmige Werbekampagne des „Prozessteams“, welche die Einrichtung des Biosphärenreservats vorbereiten soll.
[ERKLÄRUNG: Das sogenannte „Prozessteam“ ist eine Art Kommunikations- und Organisationsagentur des Umweltministeriums für das geplante UNESCO-Biosphärenreservat und ist dem Landratsamt Ravensburg von Harald Sievers angeschlossen. Sitz des Teams ist Bad Waldsee. Dieses „Prozessteam“ ist für Administration, Koordination, Öffentlichkeitsarbeit und Entwicklung von Konzepten zuständig und mit vier Experten bestückt: Raumplanerin und ehemalige Entwicklungshelferin Lisa Polak, Agrarbiologe Franz Bühler, Förster und Waldpädagoge Berthold Reichle und Petra Bernert, die ehemalige Chefin des Biosphärenreservats Schwäbische Alb. Offiziell heißt es, das Büro informiere neutral, doch angesichts der „Prozessteam“-Auftritte kann man das mit gutem Gewissen als politischen Etikettenschwindel bezeichnen.]
Seit Sommer 2021 bis heute hat das „Prozessteam“ keine konkreten Pläne für das Biosphärenreservat vorgestellt, geschweige denn Karten vorgelegt, wo genau die Grenzen des Schutzgebiets verlaufen sollen. Das wiederum stärkt Stimmen, die Stuttgart vorwerfen, auf Zermürbung der Biosphärengegner zu setzen.
Bürgermeister zwischen den Stühlen
Zurück zu Roland Sauter und zu seiner bipolaren Zerrissenheit. Sauter ist nämlich nicht nur Genossenschaftsmanager, sondern auch Bürgermeister von Argenbühl. Und – genauso wie Timo Egger – ein Kind der Staatsbürokratie Oberschwabens. Bis 2015 war Sauter stellvertretender Betriebsleiter von IKP (Eigenbetrieb Immobilien Krankenhäuser Pflegeschule) im Landkreis Ravensburg unter dem Kommando von Landrat Harald Sievers.
Wie steht Roland Sauter zum Biosphärenreservat Oberschwaben-Allgäu? Mit dem SPHÄRMAN wollte Sauter dazu nicht telefonieren. Jedenfalls reagierte er nicht auf eine entsprechende E-Mail.
Aus seinem Gemeinderat hört man, er sei ein guter Bürgermeister, aber einer, der zwischen den Stühlen sitzt. Denn Argenbühl ist strukturschwach und von den Förderungsgnaden aus Ravensburg (Harald Sievers) und Tübingen (Klaus Tappeser) abhängig. Beide CDU-Männer gelten als politische Eunuchen vor den Türen von Winfried Kretschmanns Koalitionsharem.
Über Roland Sauter heißt es zu Hause in Argenbühl, dass er es sich nicht mit Sievers und Tappeser verderben wolle. So sei sein nervöser liveact als Antänzer von Timo Egger zu verstehen. Ja, die Genoholz-Versammlung gerät zu einem Ereignis, das man erst zu genießen versteht, wenn man die Hintergründe kennt.
Aber meine Schilderung der denkwürdigen Zusammenkunft mit ihrem politischen Entertainmentprogramm ist noch immer nicht zu Ende. Es folgt ein weiterer Höhepunkt mit dem Erscheinen des Redners Raimund Friderichs.
Innere Habachtstellung
Eigentlich wollte Genoholz-Vorstand Sebastian Hornstein nur EINEN Vortrag, und zwar den von Multifunktionär Franz Schönberger zur Erbauung seiner Mitglieder. Doch offenbar entglitt ihm der Plan. Plötzlich kam Timo Egger dazu. Und als der fertig war bzw. nachdem Roland Sauter seine Loyalitätsbotschaft nach Ravensburg und Tübingen abgeliefert hatte, trat Raimund Friderichs in die Mitte. Und der Saal ging nach wenigen Worten in die innere Habtachtstellung.
Kein Wunder, der Mann führt das Kommando über Millionen Bäume und ist Forstbetriebsleiter der Unternehmensgruppe Fürst von Hohenzollern mit Karl-Friedrich von Hohenzollern an der Spitze. Der ist Oberhaupt des Hauses Hohenzollern-Sigmaringen, also der schwäbischen Linie jener Familie, die einst den deutschen Kaiser stellte. Für seinen Dienstherren sitzt Raimund Friderichs in der „Allianz der Landeigentümer und Bewirtschafter“.
Würde man Franz Schönbergers wirren Biosphärenvortrag im Gasthof zur Post nachträglich vertonen, käme Free Jazz dabei raus. Bei Timo Eggers schmalziger Süßholzraspelei irgendwas von Celine Dion. Und zu Raimund Friderichs zackiger Darbietung, zu der ich gleich komme, passt das hier:
Aber wie kommt es zu Friderichs Einmarsch im Gasthof zur Post? Auch das wollte der SPHÄRMAN von Genoholz-Vorstand Sebastian Hornstein nach der Veranstaltung wissen. Dessen Antwort: „Ich weiß es nicht. Die Generalversammlung ist für alle offen.“
Der gelernte Zimmermann Raimund Friderichs stellt sich vor: „Ich vertrete 20.000 Hektar Waldbesitz, habe 30 Jahre lang grün gewählt, war 15 Jahre bei Greenpeace. Ich stehe seit 41 Jahren im Wald und in zwei Jahren gehe ich in Pension.“
Der SPHÄRMAN denkt kurz nach. Hatte ihm dieser Friderichs nicht schon mal eine E-Mail geschickt? Der SPHÄRMAN geht in die Suchfunktion seines E-Mail-Programms und tippt F-R-I-D-E-R-I-C-H-S ein. Und siehe da: Vor fast genau einem Jahr erhielt er von Raimund Friderichs ein langes Schreiben über die von romantischen Urwaldmärchen inspirierte deutsche Waldpolitik.
Darin steht unter anderem: Der Slogan „Natur Natur sein lassen“ ist eine Lüge, weil damit impliziert wird, dass der Ausgangszustand „Natur“ gewesen sei. Es war aber „Kultur“, ein seit Jahrhunderten bewirtschafteter Wald. Es müsste folglich richtig heißen „Kultur verwildern lassen“. Das ist so perfide, als ließe man den Kölner Dom mit der Zeit verfallen und würde steif und fest behaupten, der sich daraus im Laufe der Zeit bildende Steinhaufen sei ein natürlicher Fels und das sei toll, weil sich darauf eine Eidechse verirrt hat. Dieses Beispiel ist nicht etwa überzogen, sondern leider wahr. Nur traut sich durch die permanente Wiederholung der Lüge inzwischen niemand mehr, diese krasse Wahrheit offen zu sagen.
Schlechte Erfahrung gemacht
Ich bin gespannt, wieviel Klartext heute von Raimund Friderichs kommt und halte den Kuli fest in der Hand. Eingeklemmt zwischen Baumleuten sitze ich am Tisch. Mein Nebenmann blickt misstrauisch auf Stift, Block und dem SPHÄRMAN ins Gesicht. Einer, der mitschreibt – das wirkt auf manche verdächtig.
Dann legt Friderichs los, spricht über die Kommunikation des „Prozessteams“: „Alles, was man vonseiten der Biosphärenwerber an die Wand wirft, setzen wir schon seit Jahren um. Glauben Sie nicht alles, was man ihnen erzählt.“ Der schlanke und hochgewachsene Mann steht aufrecht vor den Baumleuten und bewegt sich kaum. Mit einem Blick auf Timo Egger sagt er: „Sie können gerne zu uns kommen und schauen.“
Von Eggers angeblicher Neutralität im „Prüfprozess“ scheint Friderichs also genauso wenig zu halten wie der SPHÄRMAN.
Und dann: „Wir haben schon einmal schlechte Erfahrungen damit gemacht, was andere für uns entscheiden.“ Aha, Friderichs spielt auf den FFH-Betrug an. Jeder im Saal versteht.
[ERKLÄRUNG: FFH steht für Flora-Fauna-Habitat. Der Schreck über den (von der ehemals alleinregierenden CDU begangenen) Betrug im Zusammenhang mit den FFH-Gebieten steckt vielen Landnutzern bis heute in den Knochen. Damals (um 2010) wurden weite Flächen – entgegen anderslautenden Versprechen der Politik – über die Köpfe der Eigentümer hinweg als Flora-Fauna-Habitat-Gebiete ausgewiesen und die Bauern mit erheblichen Einschränkungen bei der Bewirtschaftung belegt.]
Übergriffigkeit des Staates
Weiter: „Bürokraten pochen auf Gesetze, auch wenn sie Unsinn sind. Mir platzt der Kragen! Wir leben in einer Demokratie, aber es entgleitet alles, was uns zusammenhält. In Dresden stürzt eine Brücke ein und wir legen Flächen still.“
Friderichs erklärt mir später, was er konkret damit meinte: „In Deutschland bricht die Infrastruktur weg und wir verschwenden trotzdem sinnlos Geld in Projekte, die selbst unter Aspekten des Naturschutzes mehr als fragwürdig sind.“
Raimund Friderichs hat Fahrt aufgenommen. Die Aufmerksamkeit im Saal ist ihm gewiss. Es geht um die Übergriffigkeit des Staates ins Eigentum der Bürger und lokale Behörden, die wider besseres Wissen exekutieren, was ihnen aus Stuttgart und Brüssel befohlen wird. Die Baumleute nicken und lassen die Finger von den Handys.
Der Forstmann appelliert: „Wir müssen miteinander reden, aufeinander hören, Vernünftiges tun.“ Die Biosphäre hält er für ein Unding, das keiner braucht. In Sonntagsreden sprechen Politiker über Bürokratieabbau und hier bauen sie dazu. Dazu passt ein Satz, den Friderichs kurz vor Weihnachten ebenfalls in einer E-Mail schrieb: „Die Klimaerhitzung fordert alles von uns, damit wir unsere Heimat erhalten – aber dazu brauchen wir Freiheit im Tun und nicht Gängelung durch die Politik oder die Bürokratie.“
Vertrauen auf dem Tiefpunkt
Im Gasthof zur Post dringen Friderichs Worte in offene Ohren. Er befindet sich unter seinesgleichen. Baumleute stehen auf und berichten über ihre Erfahrungen mit Behördenvertretern, die oft selbst nicht verstehen, warum dieses vorgeschrieben und jenes verboten sein soll. Und dann heißt es immer wieder: Aber so lauten die Vorgaben.
Das Vertrauen in den Staat ist hier auf einen Tiefpunkt gesunken. Und das in die Medien sowieso, wo staatliche Forstleute den Politikern nach dem Mund reden. Bis sie in Rente gehen und plötzlich sagen, was sie wirklich denken. Der SPHÄRMAN bleibt bis nach dem Ende der Versammlung, redet und sammelt Stoff für seinen Newsletter. Am Schluss gönnt er sich noch ein Glas Härle-Bier. Auf eigene Kosten.
Als er den Abend im Gasthof zur Post mit Genoholz-Vorstand Sebastian Hornstein nachbespricht, bittet er zum Abschluss um dessen private Meinung als Kleinwaldbesitzer im Landkreis Biberach.
Hornstein: „Wir wissen noch gar nicht, ob das Biosphärenreservat unsere Familie betrifft, es liegen ja immer noch keine Karten vor. Aber ich weiß, dass ich zu hunderprozentig dagegen bin. Die FFH-Geschichte [siehe Erklärung oben] hat uns arg getroffen und wirkte sich wie eine Enteignung aus. Es ist seitdem nicht mehr möglich, vernünftig zu wirtschaften.“
-/-
Vor wenigen Tagen bereicherte Winfried Kretschmann die Diskussion über eine Steigerung der Zwangsgebühren des staatlichen Rundfunks um 58 Cent pro Monat mit einem Wortbeitrag. Kretschmann: „Ich halte diese Erhöhung für maßvoll.“ Kritik daran komme meist aus rechtspopulistischen Kreisen, fügte Kretschmann hinzu.
Das wird Kai Gniffke, Intendant von Kretschmanns Haussender SWR und seine rund 5.500 festen und freien Mitarbeiter, gerne gehört haben. Gniffke verdient rund 400.000 Euro im Jahr, also deutlich mehr als Bundeskanzler Olaf Scholz. Es ist Wahlkampf und die Sympathie loyaler Journalisten sicher nicht von Nachteil.
Einen Tag später sendet der SWR einen Beitrag über die Erweiterung des Biosphärenreservats Schwäbische Alb und erklärt die sogenannte „Kernzone“ des Schutzgebiets: „Sie besteht aus Waldflächen. Hier entwickeln sich die Urwälder von morgen. Die Natur wird größtenteils sich selbst überlassen.“