Schwindelt Nachhaltigkeits-Guru Gottfried Härle seine Brauerei grüner als sie ist?

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Die „grüne Brauerei“ Clemens Härle wirbt damit, ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu verbrauchen. Verbraucherschützer sehen das als Greenwashing.

Auf der Website seiner Brauerei und auch im oben verlinkten Video erzählt Gottfried Härle, er verbrauche ausschließlich Ökostrom aus Sonne, Wind, Biomasse und Wasserkraft. Das stimmt nicht. Wenn man den Brauer mit dieser Tatsache konfrontiert und um Stellungnahme bittet, reagiert er nicht.

Gottfried Härle ist Bierbrauer in der vierten Generation. Seine Privatbrauerei in Leutkirch im Allgäu wurde 1897 gegründet. Heute stehen die Schlagworte Umweltschutz, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung im Zentrum der Markenkommunikation. 2015 verbot ein Gericht die Bewerbung von Härles Bieren als „bekömmlich“, weil dies eine Irreführung der Konsumenten sei. Härle ging bis zum Bundesgerichtshof und verlor trotzdem.

Was für ein interessanter Mann mit festen Prinzipien, dachte ich, und beschloss, Reden und Handeln von Gottfried Härle näher zu vergleichen.

Gottfried Härle, grüner Gemeinderat in Leutkirch, seit Sommer 2021 Träger des Verdienstordens des Landes Baden-Württemberg für sein ökologisches Engagement und die Umstellung der gesamten Brauerei auf regenerative Energieträger, ist einer der wichtigsten Befürworter des Biosphärenreservats Oberschwaben-Allgäu und Sprecher der sogenannten → Biosphärenbotschafter. Das ist ein Grund mehr für den Sphärman, sein Interesse auf Gottfried Härle zu richten.

Härle ist aber nicht nur lokale Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, sondern auch einer der bedeutendsten Netzwerker der Ökoszene und wird von manchen als Lichtgestalt der grünen Wirtschaft gesehen. Vor 30 Jahren war er unter den Gründern des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft. Er und seine Brauerei kassieren eine Auszeichnung nach der anderen. Beim jüngsten Parteitag der Grünen trat Härle → als Sponsor in Karlsruhe auf. Unter anderem neben Glyphosat-Hersteller Bayer.

Tiefe Verbeugung

In einem hymnischen Porträt feierte vor einigen Wochen die → Stuttgarter Zeitung Härle als Vorbild mit makellosem Lebenslauf im Sinne des grünen Geistes: Wehrdienstverweigerer, Biobrauer, ökologisch handelnder Vorzeigeunternehmer. Der Artikel gerät zu einer einzigen tiefen Verbeugung. So wie viele andere Beiträge über Härle, die in den letzten Jahren erschienen sind. Auf den Gedanken, Härles Redefluss an der einen oder anderen Stelle zu hinterfragen, kam bisher keiner – soweit ich das überblicke. Dabei muss man gar nicht lange am grünen Lack kratzen, um auf interessante Widersprüche zu stoßen.

Auf seiner Firmenwebsite wirbt Härle unter dem Link → Wir arbeiten klimaneutral für seinen Betrieb und berichtet über die Umstellung auf Ökostrom am 1. Januar 2009: „Seit diesem Tag beziehen wir für die gesamte Brauerei ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energiequellen – also aus Wasser, Sonne, Wind und Biomasse. Lieferant dieses Ökostroms ist ein renommierter Stromanbieter aus dem Südschwarzwald.“

Der Text erweckt den Eindruck, Härles Betrieb verbrauche ausschließlich Strom aus sauber erzeugter Energie. Ist das wirklich so?

Härles „renommierter Stromanbieter“ im äußersten Südwesten Deutschlands ist die deutsch-schweizerische Naturenergie Hochrhein AG, deren größter Anteilseigner mit knapp 67% die deutsche EnBW ist.

Das Unternehmen bietet zwar Ökostrom an und behauptet zunächst, dieser werde aus „Wasserkraft und damit ohne Freisetzung von CO2“ hergestellt. Bohrt man jedoch tiefer, erweist sich das als branchenübliches Greenwashing, das durch den Handel mit Herkunftsnachweisen möglich ist. Ökostrom ist in der Regel verschmutzt – durch Beimengung von Energie aus Kohle, Gas und anderem unappetitlichen Zeug. Nach einigem Hin und Her bestätigt das Unternehmen: „Es ist immer Graustrom im Mix. Physikalisch geht es auch nicht anders.“

Anteile von Graustrom

Ja, Härles Stromlieferant weist Ökostrom aus, der alles andere als komplett sauber ist. Härles Aussage, man beziehe „für die gesamte Brauerei ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energiequellen – also aus Wasser, Sonne, Wind und Biomasse“ ist offensichtlich falsch. Zumindest was den Lieferzeitraum 2023 betrifft. Auf Anfrage bei Gottfried Härle schickt dieser die ersten zwei Seiten seines Stromvertrages durch, in dem steht, dass die Brauerei „ausschließlich Strom aus Wasserkraft, der in Kraftwerken im Alpenraum erzeugt wurde“ erhält.

Jeder, der sich für Strom interessiert, weiß, dass diese Aussage irreführend ist. Denn schon im nächsten Satz heißt es schwarz auf weiß: „Die zugehörigen Herkunftsnachweise werden im Herkunftsnachweisregister des Umweltbundesamtes geführt.“

Was sind Herkunftsnachweise? Auf der → Website des erfahrenen Energieexperten Udo Leuschner aus Heidelberg steht über Herkunftsnachweise: „Das sind die spottbilligen Zertifikate, mit denen jeder Stromanbieter den ganz normalen Strom-Mix – der auch als Graustrom bezeichnet wird – zu angeblich hundertprozentig grünem Ökostrom aufhübschen kann, ohne dass er deshalb eine Betrugsanzeige befürchten muss. Das Verfahren ist nämlich amtlich zugelassen, sowohl auf EU-Ebene als auch durch nationale Gesetzgebungen.“

Der vielbeschworenen Energiewende bringt das nicht viel – außer PR für Umweltpolitiker, die sich auf die Schultern klopfen. Herkunftsnachweise werden eifrig gehandelt und belegen, wie und wo Strom erzeugt wurde. Dabei muss es sich gar nicht um den tatsächlich gelieferten Strom handeln, sondern um irgendeinen Strom, der irgendwo aus Wasserkraft oder einer anderen erneuerbaren Quelle gewonnen und irgendwo anders verbraucht wird. Sehr häufig kommen diese Herkunftsnachweise aus Norwegen oder Österreich, weil es in Deutschland zu wenige davon gibt. Und sie leiden unter einem schlechten Ruf. Denn man geht davon aus, dass → viele davon doppelt verbucht werden.

Greenwashing

„98 Prozent der Ökostromtarife sind der Verbraucherschutzzentrale zufolge Marketing“, berichtete die ZEIT in einem Artikel mit der Überschrift → Die Illusion vom sauberen Strom.

Und was sagen die Verbraucherschützer im Ländle zu diesem Fall? In einer schriftlichen Stellungnahme der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg betrachtet man Gottfried Härles Eigenwerbung als Greenwashing.

Oft buchen private Stromkunden Ökostromtarife und glauben, sie würden dadurch komplett sauber erzeugte Energie beziehen. Aber unter Profis ist der amtlich genehmigte Schwindel Allgemeinwissen.

Ich schrieb Gottfried Härle und teilte ihm mit, dass seine Behauptung, er beziehe „Strom aus 100% Wasserkraft und damit aus erneuerbarer Quelle“ nicht den Tatsachen entspreche. Auf meine Bitte um Stellungnahme reagierte er nicht. Er hat wohl viel zu tun.

Vorsichtige Rückfrage an mich selbst: Ist der arme Gottfried Härle ahnungslos in ein Hütchenspiel mit Strom reingestolpert, weil er an das deutsche Energiemärchen glaubt?

Das ist eher nicht zu vermuten. Der gefeierte Nachhaltigkeitsprofi und Umweltnetzwerker Gottfried Härle mit seinen exzellenten Drähten in die deutsche Ökoszene dürfte mit allen Wassern gewaschen sein. Härles Brauerei wird mit Auszeichnungen zugeschüttet: Deutscher Nachhaltigkeitspreis (2010), Umweltpreis für Unternehmen des Landes Baden-Württemberg (2010), Förderpreis nachhaltiger Mittelstand in der Kategorie Handwerk (2010), IBK-Nachhaltigkeitspreis der Internationalen Bodensee-Konferenz (2015), LEA-Mittelstandspreis für soziale Verantwortung in Baden-Württemberg (2018), Sieger beim Wettbewerb Energiezukunft Allgäu der Organisation eza (2018), Wegbereiter des Jahres 2021 – verliehen vom Verband Deutscher Unternehmerinnen zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium, Wirtschaftspreis Schwarzer Löwe in der Kategorie Nachhaltigkeit (2022).

Farce mit Nebendarstellern

Auch auf der Website von „Bündnis klimaneutrales Allgäu 2030“ von eza (Energie- und Umweltzentrum Allgäu, ein Zusammenschluss aus Landkreisen, Städten, Energieunternehmen etc.) steht: „Die Brauerei Härle braut und vertreibt klimaneutral: kein Öl, kein Gas, kein Atom- oder Kohlestrom – die gesamte Energie, die in der Brauerei eingesetzt wird, stammt aus regenerativen Energien.“ Das ist falsch und Verbrauchertäuschung.

Auf der Website der Kooperation „Die Brauer mit Leib und Seele GbR“ (Firmensitz laut Impressum: Brauerei C. Härle) steht: „So ist die Brauerei Härle die erste und einzige Brauerei in ganz Deutschland, die ihre Biere zu hundert Prozent klimaneutral herstellt und vertreibt. Kein Öl, kein Gas, kein Atom- oder Kohlestrom – die gesamte Energie, die in der Brauerei Härle eingesetzt wird, stammt aus regenerativen Quellen.“ Auch das ist falsch. Gezeichnet ist der Text mit einem Faksimile der Unterschrift Härles.

Es scheint, in der Öko-Farce um Brauer Härle gibt es eine Menge Nebendarsteller, die ihre Rollen offenbar gut beherrschen.

Hätte Härle überhaupt eine Chance hundertprozentig sauber erzeugten Ökostrom zu beziehen? Ja, aber nur unter extrem unwahrscheinlichen Voraussetzungen, nämlich durch Direktleitung aus einem in der Nähe gelegenen Laufkraftwerk oder einer anderen Anlage, die genügend Strom aus erneuerbarer Quelle erzeugt. Anders geht es in Deutschland nicht.

Entlastung für Härle? Nein, denn es gibt durchaus Möglichkeiten, den Strombedarf bei Anbietern zu decken, die sich politisch und wirtschaftlich für die Energiewende einsetzen, erklärt man in der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Härles Stromlieferant für das Jahr 2023 gehöre jedoch nicht dazu. Dafür aber alte Weggefährten von Gottfried Härle, nämlich die Familie Sladek mit ihrer Genossenschaftsgründung EWS Elektrizitätswerke Schönau, die aus einer Bürgerinitiative nach Tschernobyl entstand und heute Tausende Mitglieder ausweist. Auf Anregung von Gottfried Härle erhielt Ursula Sladek 2013 hälftig den mit 500.000 Euro dotierten Deutschen Umweltpreis.

Geht es um Geld?

Was ist von einem Lokalpolitiker zu halten, der sich als Öko-Instanz gibt und dies mit einer irreführenden Aussage stützt? Und noch eine Frage drängt sich auf: Steht Härles Engagement für das Biosphärenreservat Oberschwaben-Allgäu wirklich im Dienst höherer Werte oder geht es letztendlich um Geld?

Auf der Website der Biosphärenbotschafter nennt Gottfried Härle die Motive seines Engagements für das Biosphärenreservat Oberschwaben-Allgäu und gibt sich als bodenständiger Öko-Aktivist: Klimaschutz, Artenvielfalt, bäuerliche Kulturlandschaft, naturnaher Tourismus. Viele schöne Themen, mit denen man in der Öffentlichkeit Punkte macht. Unter Härles Kollegen im Gemeinderat von Leutkirch heißt es hinter vorgehaltener Hand, der Brauer sei ein schlauer Fuchs, der es verstehe, die Politik mit den eigenen Interessen in Einklang zu bringen.

Anfang 2023 betrieb Härle → hinter dem Rücken des Bürgermeisters intensiven Lobbyismus an höherer Stelle, damit die Gemarkung Leutkirch ins Suchgebiet für das geplante Biosphärenreservat Oberschwaben-Allgäu wiederaufgenommen wird, nachdem sie daraus entfernt worden war. Der Coup gelang und der Ärger war groß. Später gab Härle unumwunden zu, warum er so handelte. Ein Grund sei gewesen, dass man im Biosphärengebiet von staatlichen Zuschüssen profitieren könne.

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Kommentare (1)

  • Dieter Maier
    Dieter Maier
    5. September 2024 um 9:04 Uhr

    Sehr interessant. Wir können zwar das Bier hier in VS nicht kaufen, kenne es aber vom Bodensee her.
    Noch bin ich unter Vertrag bei den Ökostromwerken Schönau. Die fördern die Grüne Neugebauer, für mich ein Grund dort auszusteigen, zumal ich auch die Vermutung habe, daß in dem Unternehmen Gewinne in die Schweiz transferiert werden.

    Bleiben Sie am Ball, aber reiben Sie sich nicht total auf.

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