Hier verrät ein Biosphären-Bürgermeister, wie man sich gegen eine durchgeknallte Bürokratie wehrt

Biosphären-Bürgermeister Erik Thürmer

Erik Thürmer ist kein Feind von Biosphärenreservaten, sagt er. Aber weil die Obrigkeit in Erfurt die Gemeinden mit absurden Plänen gängelt, steigt er auf die Barrikaden.

Vor fast 10 Jahren wurde der Kleinstadtbürgermeister von Kaltennordheim in Südthüringen mit überwältigender Mehrheit gewählt. Demnächst soll er als Bewerber für den Landtag in Erfurt aufgestellt werden, denn 2024 wird gewählt. Offenbar wirkt Thürmers Arbeit über die Stadtgrenzen hinaus. Das ist wohl auch einem ganz speziellen Thema zu verdanken: seinem Kampf gegen die Biosphärenbürokratie.

Was ist passiert?

Kaltennordheim mit seinen 6.000 Einwohnern liegt mitten im Biosphärenreservat Rhön. Und das schon seit über 30 Jahren. Nun droht die Aberkennung des UNESCO-Schutzstatus, wenn die Kernzone nicht auf drei Prozent und die Pflegezone auf 17 Prozent vergrößert werden. So verlangt es das Regelwerk der Organisation.

Auch kommunale und private Flächen sind von der geplanten Schutzzonenerweiterung betroffen. Dadurch wird die Entwicklung der Region gehemmt, ist Thürmer überzeugt. Und es ist nicht das Einzige, was ihn aufregt. Als die Behörden im Herbst 2022 begannen, die Veränderungen einzuleiten, lagen nur unlesbare Karten vor, es gab kaum Erläuterungen. Die Transparenz war unterirdisch.

Thürmer mobilisierte seine Bürgermeisterkollegen im Biosphärenreservat. Nach massiven Protesten stoppte das Ministerium das Verfahren, holte die Bürgermeister ins Boot und wollte weitermachen. Doch sofort gab es wieder Stress.

Diesmal wegen der Windkraft. Das Aufregerthema schlechthin. Bisher war das Biosphärenreservat vor den riesigen Propellern geschützt. Damit soll es nun vorbei sein. Die Regierung steht unter Druck und sucht nach Gebieten für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen.

Weil sich nicht nur Thürmer echauffiert, haben 20 weitere Bürgermeister und zwei Landräte eine Petition an die Regierung von Thüringen unterzeichnet. Es ist ein → Dokument der Wut.

SPHÄRMAN: Herr Bürgermeister, liest man die Presseberichte über Ihren Aufstand gegen Erfurt, möchte man am liebsten gleich salutieren. So viele Bürgermeister und noch zwei Landräte unter einen Hut zu bringen war sicher nicht leicht.

ERIK THÜRMER: Es geht um das Interesse der Menschen, die in dieser Region leben. Ich sehe mich als ihr Sprachrohr. Und damit man in der Landespoltik gehört wird, muss man laut werden. Wenn wir Bürgermeister Sturm laufen, wird es schwierig für’s Land, gegen den Willen der Kommunen in den Lebensraum der Menschen einzugreifen.

SPHÄRMAN: Dennoch sind Sie kein Feind des Biosphärenreservats Rhön. Wie schaffen Sie es, weiterhin an das Konzept zu glauben?

ERIK THÜRMER: Grundsätzlich halte ich das Biosphärenreservat für sinnvoll. Im Jahr 2015 hat die UNO die Agenda 2030 verabschiedet und damit 17 globale Nachhaltigkeitsziele, die Sustainable Development Goals, für eine soziale, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung gesetzt. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, diese Ziele zu erreichen. Dafür braucht es unter anderem großflächige Regionen, die das ausgleichen, was in den wirtschaftlich starken und industriell geprägten Landesteilen sowie den urbanen Siedlungszentren ökologisch versaubeutelt wird. Aber wenn wir für unser Land den ökologischen Ausgleich liefern, wollen wir einen wirtschaftlichen Ausgleich für die damit verbundenen Belastungen. Wir wollen die Schöpfung bewahren, brauchen dafür aber auch starke Schultern, die uns beim Tragen helfen.

SPHÄRMAN: Welche Belastungen meinen Sie genau?

ERIK THÜRMER: Ich erzähle Ihnen ein Beispiel. In unserem ländlichen Raum gibt es nur einen sehr ausgedünnten öffentlichen Personennahverkehr. Eine Anbindung an die Schiene existiert nicht. Wenn wir also erreichen wollen, dass unsere Bürger öfters mal das Auto stehen lassen, müssen wir unsere Ortschaften mit Radwegen verbinden. Um einen Radweg im Biosphärenreservat auf bestehenden landwirtschaftlichen Wegen anzulegen, ist ein zusätzliches naturschutzrechtliches Verfahren zur Befreiung von Festsetzungen der Biosphärenreservatsverordnung nötig. Dafür braucht man ein artenschutzrechtliches Gutachten. Da kommt dann zum Beispiel ein Ornithologe und zählt immer wieder Vögel. Dadurch dauert das Verfahren 9 Monate länger und kostet Geld. Das fehlt unserer Stadt dann an anderer Stelle. Für die aktuelle Genehmigung eines Teilstücks dieses Radwegs, mit dem wir künftig zwei Ortsteile verbinden, hat uns dieses Gutachten 7.500 Euro gekostet. Im Ergebnis war alles in Ordnung und der Radweg darf gebaut werden. Ehrlich gesagt, für dieses Geld hätte ich lieber im Kindergarten ein neues Spielgerät aufgestellt oder ein paar Schlaglöcher in unseren Straßen repariert.

SPHÄRMAN: Wie sieht es beim Wohnungsbau aus?

ERIK THÜRMER: Ähnlich. Um neue Bauplätze ausweisen zu können, muss man bei jeder Bauleitplanung eine Schippe drauflegen und den rechtlichen Anforderung entsprechend, die sich aus dem Biosphärenreservat ergeben, gegebenenfalls zusätzliche Ausgleichsmaßnahmen durchführen. In der Regel findet sich ein Weg, aber der kostet immer Zeit und zusätzliches Geld. Daher fordere ich den finanziellen Ausgleich vom Freistaat Thüringen.

SPHÄRMAN: Ein heikles Thema bei Ihnen in der Region ist die Errichtung von Windkraftanlagen, die nun plötzlich erlaubt sein sollen.

ERIK THÜRMER: Unsere Wälder wurden im Mittelalter abgeholzt. Wir haben karge steinige Böden, wenig Ackerbau, dafür mehr Weidevieh in offener Landschaft. Unsere Tourismuswirtschaft setzt auf Wandererlebnisse. Wir sind das Land der offenen Ferne. Bei klarem Wetter sieht man am Horizont die Bergspitzen der umliegenden Mittelgebirge leuchten. Jedes Windrad wäre kilometerweit sichtbar. Außerdem ist die Rhön eines der wichtigsten Lebensräume des Rotmilans, dessen Population in Thüringer rückläufig ist. Mit Sicherheit nicht ausschließlich wegen der Windkraft, aber die Rotorblätter sind erwiesenermaßen ein zusätzliches Risiko für diesen Vogel. Bei uns in der Rhön kann er geschützt leben, weil wir auch andere Maßnahmen umgesetzt haben. Das wollen wir uns nicht wieder kaputtmachen lassen. Mit dem ersten neuen Verordnungsentwurf hat man die Menschen vor den Kopf gestoßen.

SPHÄRMAN: Haben Sie sich schon überlegt aus dem Biosphärenreservat auszusteigen?

ERIK THÜRMER: Interessanter Gedanke, aber wie soll das gehen? Das Problem ist ja nicht der Status Biosphärenreservat sondern das, was die Bürokratie daraus macht. Insofern müssen wir als Gemeinden darauf Einfluss nehmen, was das Umweltministerium in die Verordnung zum Biosphärenreservat reinschreibt. Dazu gab es in den letzten Monate zahlreiche Sitzungen mit uns Bürgermeistern mit Vertretern des Ministeriums. An einigen Stellen haben wir gute Fortschritt erreicht, an anderen müssen wir weiter kämpfen.

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