Ist das Biosphärenreservat schon gescheitert?

Bürgermeister Jochen Currle

Was denkt ein Bürgermeister, der ganz nah miterlebt, wie ums Biosphärenreservat Oberschwaben-Allgäu gerungen wird?

Jochen Currle ist promovierter Agrarwissenschaftler und ehrenamtlicher Bürgermeister von zwei winzigen Gemeinden im Landkreis Ravensburg: Guggenhausen und Unterwaldhausen mit insgesamt 500 Einwohnern. Wenn die Biosphäre kommt, leben alle im Schutzgebiet.

Currle ist parteilos. Sein Blick auf die Vorgänge im Land ist durch viele Jahre in der Entwicklungshilfe geprägt. Da geht es nie um wer-gegen-wen sondern die komplexen Wechselwirkungen zwischen Zentralmacht und ländlicher Bevölkerung, Boden und Lebensmittelwirtschaft, Lebensraum und Überflussgesellschaft. Currles Interesse wirkt frei von ideologischer Verschmutzung.

Von Currle, der im Arbeitskreis Landwirtschaft sitzt, wo Für und Wider rund ums Biosphärenreservat diskutiert werden, erwartet man sich erstmal vorbehaltlosen Biosphären-Enthusiasmus. Doch dem ist nicht so, obwohl der Ackerbau-Experte dem Biosphären-Konzept grundsätzlich wohlgesonnen ist.

Viel Empörung angefacht

SPHÄRMAN: Herr Currle, Sie haben recht gute Einblicke in die Vorgänge um das geplante Biosphärenreservat, jedenfalls bessere als die meisten anderen Bürgermeister. Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand?

JOCHEN CURRLE: Der Prozess wurde nicht gut aufgesetzt. Man hätte Betroffene vorher befragen müssen, zum Beispiel die Bürgermeister und den Bauernverband, bevor man einen Koalitionsbeschluss fasst und an die große Glocke hängt. Dann kam dieser forsche Spruch von Andreas Schwarz und alles war auf den Kopf gestellt. Damit wurde viel Empörung angefacht.

Currle meint damit eine Aussage des Fraktionschefs der Grünen in Baden-Württemberg. Der sagte über das geplante Biosphärenprojekt Oberschwaben-Allgäu im Gespräch mit der → Schwäbischen Zeitung: „Die Koalition steht dahinter. Das kommt. Mein Anspruch ist es schon, dass wir in dieser Legislaturperiode die Diskussionen abschließen und das Biosphärengebiet verbindlich festsetzen.“ Das sorgte für heftigen Wirbel, denn stets wird von den Verantwortlichen beteuert, dass die Umsetzung des Biosphärenreservats einigermaßen demokratisch verlaufen soll. Genauer gesagt: Die Gemeinderäte sollen abstimmen. Nun, man kann sich darüber streiten, ob das wirklich so demokratisch ist. Für jemanden, der in der Schweiz lebt, wahrscheinlich nicht.

Souveränität geht verloren

SPHÄRMAN: Forstleute und Landwirte sind zum großen Teil dagegen. Warum konnte man die nicht ins Boot holen?

JOCHEN CURRLE: Wenn ich ein Verwaltungskonstrukt über die Geographie lege, gibt es Zugriff von oben. Die Souveränität der Grundstücksbesitzer wird eingeschränkt. Und es gibt für die Landwirte Erfahrungen von Einschränkung aus der Vergangenheit, als man die FFH-Gebiete ohne Beteiligung der Eigentümer auswies.

Zur Erklärung: Als Flora-Fauna-Habitat (FFH-Gebiet) bezeichnet man ein Schutzgebiet, das zum Natura-2000-Netzwerk der Europäischen Union gehört. Anfang der 2000er-Jahre wurden die FFH-Gebiete Baden-Württembergs ohne Beteiligung der Eigentümer an die EU gemeldet. Erhebliche Einschränkungen bei der Bewirtschaftung folgten. Zuvor hatte man ihnen jedoch versichert, dass es keine Auswirkungen gebe. Ein krasser Wortbruch, der entsprechenden Zorn nach sich zog.

Viel guter Wille

SPHÄRMAN: Damals war die CDU an der Macht. Heute sind es die Grünen. Gibt es einen Unterschied?

JOCHEN CURRLE: Ich glaube, da ist viel guter Wille in der Politik. Aber das Gefühl, den Oberen sei nicht zu trauen, ist eben da. Insgesamt empfinde ich es so: Unser Lebensstandard steigt und steigt, aber sobald irgendwelche Einschränkungen drohen, schreien alle Zeter und Mordio. Dazu kommt, dass viele immer noch nicht wissen, was ein Biosphärengebiet genau ist.

SPHÄRMAN: Ist das Biosphärenreservat Oberschwaben-Allgäu bereits gescheitert?

JOCHEN CURRLE: Ich kann es nicht sagen und will auch nichts kaputtreden. Wir haben ja noch ein bisschen Zeit. Ich sehe Chancen. Und es gibt Gruppen, die sich gute Hoffnungen machen. Mal sehen, was geschieht, wenn die Meinungsbildung abgeschlossen ist. Es ist wichtig, dass unser Gemeinderat diesen Prozess durchmacht und sich dann gut informiert entscheidet.

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