Sechs brennende Fragen über Biosphärenreservate

Keiner weiß so richtig, wofür ein UNESCO-Biosphärenreservat gut ist. Die einen denken nur an Naturschutz (falsch), die anderen an Bürgerbeteiligung (auch falsch). Hier steht, was richtig ist.

Die Verwirrung beginnt bereits mit dem Namen: BIOsphäre. BIO klingt nach gesunder Natur und sauberer Umwelt. Aber wieso schieben die Vereinten Nationen dieses Thema dann nicht in ihre Teilorganisation → UNEP, wo man sich für Umweltfragen zuständig sieht?

Klare Antwort: Weil die Biosphärenreservate dort nichts zu suchen haben, denn Natur und Umwelt sind nur ein Themenbereich von vielen, um die es in Biosphärenreservaten geht. Womit wir bei der ersten von fünf brennenden Fragen über UNESCO-Biosphärenreservate angekommen sind.

Erste Frage: Wie viel Naturschutz steckt im Biosphärenreservat?

Die UNESCO sieht diese Frage recht locker und überlässt die Antwort ihren Mitgliedsstaaten. Die können selber entscheiden, wie viel Naturschutz sie in ihre Biosphärenreservate hineinpackt. Sicher ist: Ein Biosphärenreservat in Deutschland ist ein Großschutzgebiet nach Naturschutzrecht, das in → §25 Bundesnaturschutzgesetz definiert ist.

In Österreich agiert man großzügig. Dort ragt zum Beispiel der → UNESCO-Biosphärenpark Wienerwald tief ins dichtbesiedelte Stadtgebiet von Wien hinein, wo der Schutz der Natur keine große Priorität hat. Weil es in den engen Straßen einfach nicht viel davon gibt.

Die UNESCO sagt über ihr eigenes Kind: „Biosphärenreservate stehen für einen Paradigmenwechsel – Naturschutz mit und durch den Menschen. Sie bieten Rahmen für langfristige Nachhaltigkeitsprozesse und halten eine Landschaft somit lebensfähig. Sie sind ein Qualitätssiegel für Touristinnen und Touristen, sie stehen für neue Einkommens- und Beschäftigungschancen ebenso wie für Identität und Stolz auf eine Region in einem Weltnetz. Sie tragen bei zu internationaler Zusammenarbeit und Frieden.“

Aha: Naturschutz, Tourismus, Arbeit, Heimatstolz und Weltfrieden. Alles drin. Hier geht’s zum → ganzen Text.

In Deutschland packt man alles gründlicher an (um es daraufhin komplett zu versemmeln, aber das ist eine andere Geschichte), auch den Naturschutz. Der ist in deutschen Biosphärenreservaten Herr im Haus.

Wer den oben verlinkten Paragraphen durchliest, lernt: Biosphärenreservate in Deutschland sind zum Teil sogar sehr strenge Naturschutzgebiete, nämlich in den sogenannten „Kernzonen“.

Auf der Website des Umweltministeriums in Stuttgart steht über Biosphärenreservate: „Kernzonen sollen sich vom Menschen möglichst unbeeinflusst entwickeln und haben einen ähnlichen Status wie Naturschutzgebiete.“

Aber ausgerechnet zwischen Landesjagdverband Baden-Württemberg und den zuständigen Biosphärenbehörden wurde offenbar besprochen, dass in der Kernzone Hobbyjäger rumballern dürfen. Dieser absurde Deal ist einer der vielen Rätsel, die den Entstehungsprozess des grünen Prestigeprojekts begleiten.

Ja, richtig gelesen: Man erwägt, Freizeitschützen im Allerheiligsten des Biosphärenreservats zuzulassen. Realität schlägt Satire.

Um die Kernzonen herum schmiegen sich die sogenannten „Pflegezonen“, die sich aus bereits bestehenden Schutzgebieten zusammensetzen, etwa Streuobstwiesen mit bunten Schmetterlingen, die nach Herzenslust durchatmen können (keine Pestizide erlaubt), und sanft dahingleitende Elektrotraktoren. Das ist jetzt ein bisschen überspitzt formuliert. Seriöser klingt, wenn man dazu „sanfte Landwirtschaft“ sagt.

Jenseits der Pflegezonen befinden sich die „Entwicklungszonen“. Wenn das gesamte Biosphärenreservat eine Art ökosozialer Swingerclub ist, wo alles ausprobiert wird, was die Welt von morgen schöner und gerechter machen soll, dann ist die Pflegezone der Darkroom des Schutzgebiets. Was genau in diesen Zonen abgeht, wird für jedes neue UNESCO-Biosphärenreservat anders definiert, aber eines ist klar: Förderungen winken. Welche genau? Man sagt es nicht. Im Fall des Projekts für Oberschwaben-Allgäu herrscht noch tiefe Dunkelheit und Raum für Phantasien.

Kurz: Ein UNESCO-Biosphärenreservat ist ein politisches Chamäleon. Naturfreunden wird es als Naturschutz angepriesen, der Wirtschaft wird es als Regionalentwicklung mit mannigfaltigen Fördermitteln zum Abgreifen präsentiert und dem Rest wird es als Labor für den ökosozialen Umbau der grünen Gesellschaft von morgen verkauft.

Komischerweise ist keiner der Angesprochenen so richtig glücklich damit. Die Naturschützer sagen: Das ist doch gar kein richtiger Naturschutz. Die Unternehmer sagen: Was hat das mit Angebot und Nachfrage zu tun? Und der Rest hat keine Meinung, weil ihm der Biosphärenzirkus komplett egal ist.

Übrigens: In Deutschland gibt es rund 8.900 Naturschutzgebiete unterschiedlicher Kategorien, darunter 17 UNESCO-Biosphärenreservate – von weltweit 748.

Anhand eines niedlichen Werbevideos für deutsche Biosphärenreservate kann man sehen, wie die Politik argumentiert. Hier kommt man ohne lästiges Kleingedruckte auf den Punkt. Da heißt es: „Biosphärenreservate sind eine super Sache.“ Weil: Man kann dort arbeiten, wo andere Urlaub machen und Unternehmen in Biosphärenreservaten entwickeln sich gut. Und so weiter. Danach glaubt man nur noch: Wer gegen Biosphärenreservate spricht, ist dumm.

Und was macht die UNESCO sonst noch so? Neuerdings ganz oben auf der Agenda: der → Kampf gegen Fake News.

Zweite Frage: Wer bestimmt, wo ein Biosphärenreservat eingerichtet wird?

Viele glauben, die UNESCO legt fest, wo ein Biosphärenreservat eingerichtet wird. Klar, alleine der Name dieser Organisation strahlt Würde und Autorität aus. Aber: Die UNESCO mischt sich überhaupt nicht in die Entscheidungsfindung über ein Biosphärenreservat ein und überlässt ihren Mitgliederstaaten die Auswahl des Ortes und die konkrete Zielsetzung. Sie stellt nur ein allgemeines Regelwerk für die Einrichtung zur Verfügung.

Das heißt → Der Mensch und die Biosphäre und will (unter anderem) zu „gesunden und gerechten Gesellschaftsformen beitragen.“ Wer dieser Anleitung mehr oder weniger folgt, bekommt den glamourösen Namen UNESCO für sein Schutzgebiet verborgt und muss alle 10 Jahre nachweisen, dass er damit keinen Mist baut.

So ein UNESCO-Biosphärenreservat ist also Labor und Vorbildregion in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht nach dem Geschmack der amtierenden Regierung. Im Fall von Oberschwaben-Allgäu sind das die Grünen. Und ein bisschen die Schwarzen. Aber nur ein bisschen.

Dritte Frage: Wie bürokratisch ist ein Biosphärenreservat?

Juristisch steht ein deutsches Biosphärenreservat unter der Grundherrschaft des zuständigen Umweltministeriums auf Basis des geltenden Naturschutzgesetzes. Was dort zu tun und zu lassen ist, wird durch eine Vielzahl von Verordnungen geprägt, die auch mal verschärft werden können, wenn es den Mächtigen passt. Uniformierte → Ranger überwachen die Einhaltung der geltenden Regeln und klären die Besucher auf.

Ein abgestimmtes Rahmenkonzept muss der UNESCO erst drei Jahre nach Anerkennung als Biosphärenreservat vorgelegt werden. Und erst 5 Jahre danach die Pflege- und Entwicklungspläne mit allen Auflagen und Einschränkungen. In den Kommunen des Suchgebiets für das neue Biosphärenreservat Oberschwaben-Allgäu heißt es deshalb Richtung Stuttgart: Ihr wollt uns wohl die Katz‘ im Sack verkaufen!

Ich zitiere aus meinem Interview mit Biosphärenbürgermeister Erik Thürmer, der im Biosphärenreservat Rhön einen Aufstand von 21 Bürgermeistern gegen die irre Bürokratie aus Erfurt organisiert: „Um einen Radweg im Biosphärenreservat auf bestehenden landwirtschaftlichen Wegen anzulegen, ist ein zusätzliches naturschutzrechtliches Verfahren zur Befreiung von Festsetzungen der Biosphärenreservatsverordnung nötig. Dafür braucht man ein artenschutzrechtliches Gutachten. Da kommt dann zum Beispiel ein Ornithologe und zählt immer wieder Vögel. Dadurch dauert das Verfahren 9 Monate länger und kostet Geld. Das fehlt unserer Stadt dann an anderer Stelle. Für ein Teilstücks dieses Radwegs, mit dem wir künftig zwei Ortsteile verbinden, hat uns dieses Gutachten 7.500 Euro gekostet… Ehrlich gesagt, für dieses Geld hätte ich lieber im Kindergarten ein neues Spielgerät aufgestellt oder ein paar Schlaglöcher in unseren Straßen repariert.“ Zu meinem Interview mit Erik Thürmer geht’s → hier.

Vierte Frage: Wie viel kostet ein Biosphärenreservat?

Das ist die schwierigste Frage, weil es kaum belastbare Zahlen gibt. Im Stuttgarter Umweltministerium liegt eine Anfrage von mir. Bis eine Antwort kommt, muss ich spekulieren.

Aus einer → Online-Fragestunde der grünen Landtagsabgeordneten Petra Krebs (Minute 53:30) erfährt man aus dem Mund ihres Landtagskollegen Markus Rösler, dass im Biosphärenreservat Schwäbische Alb (etwas mehr als 85.000 Hektar Fläche) jährlich 1,7 Mio. Euro („Sachkosten“) anfallen. Dort nicht eingerechnet sind Personalkosten. Die belaufen sich gemäß der unbestätigten Aussage eines anderen Abgeordneten auf 1,2 Mio. pro Jahr. Angeblich kommen dazu noch diverse weitere Kosten wie Büromieten, Strukturkosten, Reisen etc., die nicht näher bekannt sind.

Macht insgesamt 2,9 Mio. Euro pro Jahr. Ebenfalls in dieser Summe nicht berücksichtigt ist der Brocken „Investitionen“: Für die Schwäbische Alb 6,4 Mio. Euro zwischen 2008 und 2022 (macht 427.000 Euro pro Jahr), davon 3,5 Mio. aus Fördertöpfen (macht 333.000 Euro pro Jahr), schreibt der → Reutlinger General-Anzeiger.

Übrigens: Die Förderungen, die streng an den Status des Biosphärenreservats gebunden sind, betragen kümmerliche 200.000 Euro pro Jahr. Das ist nichts im Vergleich zu den Millionen, die man auch ohne Titel abschöpfen kann.

Im Geschäftsbericht 2022 des Biosphärenreservats Südschwarzwald (etwas mehr als 63.000 Hektar) stehen knapp 1,644 Mio. Jahreskosten inkl. Gehälter für 14 Mitarbeiter. Hier sind keine zusätzlichen Investitionen bekannt. Es gibt sicherlich welche.

Was heißt das für das Biosphärenreservat Oberschwaben-Allgäu, dessen Suchraum aktuell 185.000 Hektar groß ist? Keine Ahnung. Vielleicht erfahre ich in Kürze mehr.

Die UNESCO gibt vor, dass ein von ihr abgenommenes Schutzgebiet nicht größer als 150.000 Hektar sein darf. Nehmen wir einfach an, dass es dabei bleibt. Rechnet man die kolportierten Kosten aus der Schwäbischen Alb auf diese Fläche um, kommen unten 5,118 Mio. Euro raus – pro Jahr und ohne zusätzliche Investitionen wie zum Beispiel für den Bau eines geplanten Besucherzentrums.

Fünfte Frage: Wie demokratisch ist ein Biosphärenreservat?

Im UNESCO-Regelwerk → Der Mensch und die Biosphäre steht wolkig: „Die Bevölkerung, die Verantwortungsträger und die Interessenvertreter der Region sind in die Gestaltung des Biosphärenreservates als ihrem Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraum einzubeziehen.“ So etwas liest sich immer schön. Aber was das konkret bedeutet, wird nicht erklärt.

Wurden etwa die Menschen in den Folterdiktaturen Russland (48 Biosphärenreservate), Sudan (drei Biosphärenreservate), Saudi-Arabien (zwei Biosphärenreservate) und China (34 Biosphärenreservate) um ihre Meinung gefragt, bevor ein Biosphärenreservat über sie gestülpt wurde? Sicher nicht. Trotzdem hat die UNESCO alle abgenickt.

Manche glauben, dass die Biosphäre Oberschwaben-Allgäu schon ganz zu Beginn versenkt wurde, als man fernab in Stuttgart den Beschluss fällte, das Projekt anzupacken, ohne in der Region vorzufühlen. Man spricht sogar von „Geburtsfehler“.

Der durchaus einem Biosphärenreservat zugeneigte Bürgermeister und Agrarwissenschaftler Jochen Currle sagt: „Der Prozess wurde nicht gut aufgesetzt. Man hätte Betroffene vorher befragen müssen, zum Beispiel die Bürgermeister und den Bauernverband, bevor man einen Koalitionsbeschluss fasst und an die große Glocke hängt.“

Übrigens: Weder in Deutschland noch irgendwo auf der Welt ist ein Mitbestimmungsrecht bei der Einrichtung eines Biosphärenreservats gesetzlich verankert.

Sechste Frage: Kann man in einem Biosphärenreservat Geld verdienen?

Angeblich beleben Biosphärenreservate die lokale Wirtschaft. Diese Behauptung wird immer wieder aufgestellt und mit Beispielen aus anderen Biosphärenreservaten belegt. ABER: Diese Beispiele erweisen sich bei näherer Betrachtung als Potemkinsche Dörfer, denn die Biosphärenwirtschaft überlebt nur dank üppiger Förderungen aus dem Steuersack.

Nur solche, die selbst profitieren, erzählen das Märchen der florierenden Biosphärenwirtschaft: Politiker, die Erfolgsgeschichten suchen, Behörden, die nach Planstellen gieren, Gutachter, die Rechnungen für Expertisen schreiben, Unternehmer, die sich Förderungen erhoffen.

Molkereibetreiber Julian Schmid mag das Leben im Biosphärenreservat Schwäbische Alb. Durch das Schutzgebiet verdient er allerdings kaum mehr. Warum das so ist, erzählt er → hier.

Eine der ganz wenigen wissenschaftlichen Biosphären-Studien, die NICHT von Profiteuren der Biosphärenwirtschaft beauftragt oder erstellt wurden, fand heraus, dass die ökonomischen Effekte eines Biosphärenreservats das totale Gegenteil der propagierten Wahrheit sind. Die Arbeit trägt den Titel → Eine kritische Untersuchung der boomenden Ausweisung von Biosphärenreservaten in Spanien und liefert ernüchternde Einblicke.

Und eine schon → etwas ältere Studie aus dem Jahr 2016 über das weltweite Netz der UNESCO-Biosphärenreservate kommt zum Schluss: „Obwohl es 669 Biosphärenreservate in 120 Ländern gibt, ist das Netz relativ unbekannt. Wissenschaftler, Politiker und Entscheidungsträger und sogar die lokalen Gemeinschaften, in denen sie angesiedelt sind, wissen nach wie vor nichts über den Zweck, die Aktivitäten und den potenziellen Nutzen von Biosphärenreservaten.“ Das hat sich bis heute wohl kaum geändert.

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