Versprechen, Beschwörungen und Lügen: So testet Ravensburg die Biosphärenkampagne

Friedrich der Große versucht die Bauern vom Kartoffelanbau zu überzeugen

Ein Team von Biosphärenwerbern probiert aus, wie die Kommunikationsstrategie der Regierung in zwei kleinen Gemeinden ankommt.

Stuttgart rüstet auf. Ab Februar soll der Druck zugunsten des geplanten Biosphärenreservats für Oberschwaben-Allgäu erhöht werden.

In einer E-Mail an die Bürgermeister im sogenannten „Suchgebiet“ für die Biosphäre lockt Stuttgarts oberster Biosphärenpropagandist und Multi-Beamte Timo Egger (unter anderem CDU-Bürgermeister von Fleischwangen) mit Versprechungen: 

Timo Egger an die Bürgermeister im Suchgebiet: „Jede Gemeinde entscheidet eigenständig, ob sie dem Biosphärengebiet beitreten möchte. Diese Selbstbestimmung gilt auch für einen möglichen Austritt. Die entsprechenden Verfahrensregeln müssen noch festgelegt werden. Dies wurde von Seiten der Ministerin Walker in Waldsee bestätigt.“

Die Frage, wie ehrlich diese Ankündigung zu verstehen ist, behandelt dieser Newsletter. Der SPHÄRMAN wohnte nämlich zwei Sitzungen bei, in denen die Gesandten von Landrat und Biosphären-Fan Harald Sievers die Reaktion von bäuerlich geprägten Gemeinderäten austesten wollten. Da prallten Welten aufeinander: Die Welt der NEHMENDEN (Beamte, Politiker etc.) auf die Welt der BEHERRSCHTEN (Landwirte, Waldbesitzer, Bürger etc.). Siehe Report unten.

Timo Egger: „Der Prozess wird ergebnisoffen geführt, und alle relevanten Informationen werden den Kommunen bereitgestellt, bevor Entscheidungen in den Gremien getroffen werden sollen.“

Der SPHÄRMAN hält das Gerede von Ergebnisoffenheit für eine glatte Lüge, denn der sogenannte „Prozess“ ist eine manipulative Kampagne im Auftrag von Umweltministerin Thekla Walker. Wer das nicht glaubt, möge alle bisherigen Artikel des SPHÄRMAN noch einmal sorgfältig durchlesen. Mehr Beweise gibt es nirgends.

Timo Egger: „Das Biosphärengebiet bietet als Modellregion Zugang zu zusätzlichen Fördermitteln und verbessert die Einwerbung von Drittmitteln. Die Geschäftsstelle dient als zentrale Service-Agentur für die Region und unterstützt Kommunen bei Förderanträgen.“

Mit diesen Worten enttarnt Timo Egger das Rückgrat der Kampagne: Klamme Gemeinden werden mit vagen Geldversprechen in die Biosphäre gelockt. Der Steuerzahler begleicht die Rechnung.

Timo Egger: „Studien zeigen, dass Biosphärengebiete eine erhebliche regionale Wertschöpfung generieren (ca. 1,97 Mrd. € jährlich deutschlandweit). Regionale Betriebe profitieren durch nachhaltigen Tourismus, Bildungsmaßnahmen, Direktvermarktung und verstärkte Förderung.“

Und nochmal wird den Kommunen die Karotte vors Gesicht gehängt: Es gibt GELD! Was das für Studien genau sind und wie Timo Egger auf „ca. 1,97 Mrd. Euro“ kommt verrät er dem SPHÄRMAN auf Anfrage nicht. Schon mehrmals überprüfte der SPHÄRMAN derartige Versprechen aus dem Kreis der Biosphärenwerber und stellte immer wieder fest: alles erfunden.

Hier geht’s zu den entsprechenden Artikeln:

So funktioniert der PONZI-Betrug von Klaus Tappeser und Thekla Walker

Hat der SPHÄRMAN schon wieder einen Biosphärenmenschen beim Lügen erwischt?

Erfolgreich wirtschaften im Biosphärengebiet: ein politisches Märchen?

Fazit: Hoffnung, die durch Versprechen, Beschwörungen und Lügen gestützt wird, ist die Geschäftsgrundlage im Verkehr zwischen Stuttgarts Politiker-Beamten und den Gewerbetreibenden und Bauern im Suchgebiet.

Wie fremd sich dabei die Funktionseliten des Parteienstaates und Bauern-Gemeinderäte gegenüberstehen, hat der SPHÄRMAN vor Ort erlebt und aufgeschrieben.

Dabei fiel ihm ein Gemälde ein, das er einmal im Deutschen historischen Museum sah: Friedrich der Große inspiziert die Kartoffelernte. Siehe Bild oben.

Geschichtlicher Hintergrund: Ab 1746 ergehen wahrscheinlich 15 sogenannte Kartoffelbefehle. Die neue Knolle aus Amerika wird anfangs nur widerwillig angebaut. Doch der Monarch ist auf die Feldfrucht angewiesen, denn seine Soldaten müssen bei Kräften sein, um die Heere der Feinde niederzumetzeln.

Das Bild: Der Monarch steht gebückt da, um den Machtunterschied geringer erscheinen zu lassen, er möchte volksnah wirken. Das nützt aber nichts. Ein Bauer duckt sich noch tiefer, seine Sippe verfolgt misstrauisch die Szene. Alle wissen nämlich: Wer nicht spurt, bekommt die Knute des Staates zu spüren.

Mit diesem Bild im Kopf blicke ich auf zwei Gemeinderatssitzungen mit Biosphärenwerbern zurück. Was ich dort erlebte, steht in diesem Artikel.

Es ist im kalten Januar. Der SPHÄRMAN macht sich des Abends auf den Weg von Ravensburg in die kleine Dorfgemeinde Unterwaldhausen mit 280 Einwohnern.

Vorsichtig tasten die Lichtkegel des Mietwagens die Dunkelheit ab. Im Kalender des Gemeindeamts steht eine Ratssitzung, in der über die Biosphäre gesprochen werden soll.

8 Gemeinderäte sind eingeladen, mit Timo Egger und dem Agrarbiologen Franz Bühler zu sprechen, der als eine Art Wanderprediger des Biosphärenreservats durch den Landkreis tingelt, um für das gigantische Schutzgebiet zu werben. Das Gremium ist bäuerlich geprägt. Die Freude über Stuttgarts Biosphärenpläne naturgemäß überschaubar. 

In politischen Kreisen gilt der Termin (und ein weiterer in der Nachbargemeinde Guggenhausen eine Woche zuvor) als wichtiger Testlauf für eine neue Phase der Biosphärenkampagne der Regierung. Beide Gemeinden werden von Bürgermeister Jochen Currle geleitet. Der SPHÄRMAN hält den Agrarwissenschaftler für einen interessanten Mann.

Vor über einem Jahr schreib der SPHÄRMAN: Currle ist parteilos. Sein Blick auf die Vorgänge im Land ist durch viele Jahre in der Entwicklungshilfe geprägt. Da geht es nie um wer-gegen-wen, sondern die komplexen Wechselwirkungen zwischen Zentralmacht und ländlicher Bevölkerung, Boden und Lebensmittelwirtschaft, Lebensraum und Überflussgesellschaft. Currles Interesse wirkt frei von ideologischer Verschmutzung. Von Currle, der im Arbeitskreis Landwirtschaft sitzt, wo Für und Wider rund ums Biosphärenreservat diskutiert werden, erwartet man sich erstmal vorbehaltlosen Biosphären-Enthusiasmus. Doch dem ist nicht so, obwohl der Ackerbau-Experte dem Biosphären-Konzept grundsätzlich wohlgesonnen ist.

Jochen Currle sagte mir, dass viel falsch gemacht wurde, als das Biosphärenprojekt aufgegleist wurde. Zu meinem Currle-Interview geht’s → hier.

Man sieht: Anders als Timo Egger, Landrat Harald Sievers, Regierungsrat Klaus Tappeser bis hinauf zu Ministerin Thekla Walker, die alle das Gespräch mit dem SPHÄRMAN verweigern, spricht Jochen Currle locker mit mir und hat keine Angst. Die schwäbische Politik könnte mehr solcher Leute gebrauchen.

Weil Currle offenbar auch das Vertrauen biosphärenkritischer Leute genießt, hat man ihn wohl für den Testlauf ausgewählt.

Der SPHÄRMAN kommt gleich in Unterwaldhausen an. Die Straße ist glatt. Es empfiehlt sich langsam zu fahren. Im Scheinwerferlicht erscheint ein Wegweiser, auf dem steht: LUEGEN.

Der SPHÄRMAN muss lachen. Gleich trifft er auf Timo Egger. Das passt.

Im Dorf brennt kaum Licht. Nur das Gemeindehaus strahlt helle Gemütlichkeit aus. Der SPHÄRMAN parkt, steigt aus und schreitet die Treppe zur Amtsstube hoch. Ist hier die Biosphärensitzung?

Der gesamte Gemeinderat mit Currle sitzt da, zu dessen rechter Seite Egger und Bühler. Nur drei andere Besucher sind anwesend. Das Interesse der Öffentlichkeit hält sich in Grenzen. Den viel zu engen Raum beherrscht ein übergroßes Kruzifix. 

Die 8 Gemeinderäte sitzen an Tischen, die zu einer Blocktafel zusammengeschoben wurden. Currle ergreift schwäbelnd das Wort. Aber nicht zu heftig, denn der SPHÄRMAN versteht alles. Currle trägt ein schwarzes Hemd, darüber ein gut geschnittenes Jackett aus Tweed oder dergleichen. Dergestalt und mit seinem zart angegrauten Haar könnte Currle eine Galerie in Stuttgart leiten. Klassische Moderne von 1955 bis 1980. Nichts für Kleinverdiener.

Er bedaure, dass das Biosphärenthema so wenige interessiert, sagt Jochen Currle. Ab und an gäbe es einen Artikel in der SchwäZ, aber: „Intensiv ist die Diskussion nicht.“ Dabei läge die Entscheidungsverantwortung bei den Gemeinderäten selbst, und deshalb sei man zusammengekommen, um Informationen zu sammeln. 

Es folgt der Auftritt von Franz Bühler. Der hochgewachsene Naturbeamte steht im dunkelgrauen Rollkragenpulli aus dick gesponnener Wolle kerzengerade da, was seiner Erscheinung eine mönchische Aura verleiht. Weil Bühler beim Sprechen oft den Kopf nach oben hebt und seinen Blick gen Himmel schickt (wo eine niedere Zimmerdecke die Unendlichkeit blockiert), wirkt die Geste etwas skurril.

Bühler führt sein Publikum durch eine Galerie diverser Projektionen, die Rückblick und Vorschau der Biosphärenkampagne abbilden. Demnächst steht ja die Veröffentlichung der Gebietskarten (Ende März) an, die voraussichtlich für Aufregung sorgen wird, weil dann endlich Klarheit herrscht, wen Stuttgart in die Biosphäre pressen will.

Dann biegt die Erzählung ins Wohlfühlthema Moorvernässung ab, was nur ganz kleine Flächen betrifft, aber Bühlers Schwerpunkt bildet. Auf der Landesgartenschau zu Wangen hat Bühler bereits darüber referiert. Der SPHÄRMAN lernte dort, dass intakte (also nasse) Moore doppelt so gute Speicher für das verfluchte CO2 sind wie Wälder.

Ausgetrocknete Moore in Deutschland stoßen 7% der heimischen Treibhausgasemissionen aus. Eine gewaltige Menge, die der Verschmutzung durch den innerdeutschen Flugverkehr entspricht. Wem der Klimaschutz am Herzen liegt, will alte Moore vernässen.

Allerdings: Kurz nach Wangen zeigten Bühlers oberste Dienstherren (also die in der Bundesregierung), wie scheißegal ihnen das CO2 aus dem innerdeutschen Flugverkehr in Wahrheit ist, denn jemand enthüllte, dass Regierungsmitglieder der Ampel für mehr als eine halbe Million Euro Flugkosten von und zu mehreren Fußballspielen der EM geflogen sind und dabei jede Menge CO2 über das Land verblasen haben.

Franz Bühlers Vortrag in Wangen fand übrigens im schicken Landkreispavillon der Landesgartenschau statt, der aus Holz und einem Geflecht aus gehärteten Flachsfasern konstruiert wurde. Das enorm kostspielige Objekt (laut SchwäZ 1.1 Mio. Euro inklusive Innenleben und angrenzender Schaugärten) war der ganze Stolz von Landrat Harald Sievers.

Die Betonung liegt auf WAR, denn inzwischen muss der Bau durch Stahlrohrstützen gesichert werden, weil man im Dezember plötzlich feststellte, dass das Gebäude unter Schneelast zusammenbrechen könnte. So steht es in der SchwäZ.

Hat das niemand im Beamtenheer der Prüfer, Genehmiger und Überwacher, die der Steuerzahler durchzufüttern angehalten ist, vorher berechnet? Und was ist das für eine aufgeblasene Knalltüte von Landrat, der diese Verschwendung veranlasst hat?

Zurück nach Unterwaldhausen. Franz Bühler ist beim Dauerbrenner Paludikultur angekommen. Damit ist die Nutzung von Moorschilf für Öko-Baustoffe etc. gemeint. Paludi soll die bisherige Nutzung von Moorwiesen durch Landwirte ersetzen, finden die Biosphärenwerber.

Darüber schrieb die FAZ im Oktober 2024: „Die Umstellung ist mit großen Risiken für die Landwirte verbunden… Denn um auf nassen Flächen wirtschaften zu können, müssen neue Pflanzenbestände angelegt und teure Maschinen angeschafft werden. Auch wenn schon Modellprojekte an verschiedenen Standorten über den Zeitraum von zehn Jahren von der Bundesregierung gefördert werden, steckt der Markt für Erzeugnisse aus Paludikultur noch in den Kinderschuhen und es gibt kaum betriebswirtschaftliche Daten.“

Während der Bühler-Vortrag vor sich hinplätschert, sitzt Timo Egger stumm in der Ecke und beobachtet aufmerksam die Runde.

Bühler verspricht Investitionen, wenn die Biosphäre da ist. Gemeint sind eigentlich Subventionen, also Geld vom Steuerzahler, das nie wieder zurückkommt. Die Umwortung ist ein gängiger Trick verschwendungsfreudiger Regierungsstellen.

Bühler arbeitet sich weiter durch die Themen des Egger-Schreibens (siehe ganz oben) und betont immer wieder, dass es im Großteil des geplanten Biosphärenreservats, konkret in den sogenannten Entwicklungszonen, keine zusätzlichen Vorgaben zu erwarten sind.

Das ist eine kühne Behauptung.

Neben dem SPHÄRMAN sitzt ein Zuhörer, dem man ansieht, dass er schon viel Lebenszeit an der frischen Luft verbrachte. Vor Minuten hatte er begonnen, voll innerer Unruhe auf dem Stuhl hin- und herzurutschen und die Hände aneinander zu reiben.

Jetzt platzt es aus ihm raus: „Ich bin seit 31 Jahren Forstbetriebsleiter. Dass keine neuen Vorschriften kommen, nehme ich Ihnen nicht ab! Sie haben NICHT erwähnt, dass das Biosphärengebiet unter dem Naturschutzgesetz verwaltet wird. Wir binden uns damit NOCH mehr Fesseln und Bürokratie ans Bein. Kann man die Moore nicht ohne Biosphärengebiet wiedervernässen?“

Später stellt sich raus: Der unruhige Herr heißt Christoph Tholl und ist im Forstbetrieb Graf zu Königsegg-Aulendorf verantwortlich für 2.500 Hektar Wald.

Franz Bühler reagiert überraschend defensiv: „Was hier kommen wird, kann niemand garantieren. Auch ohne Biosphärengebiet.“ 

Ein Gemeinderatsmitglied fragt: „Wozu brauchen wir das Biosphärengebiet überhaupt? Wir können die Wiedervernässung auch ohne das machen.“

Jetzt schaltet sich Timo Egger ein: „Wir brauchen die Moore, denn jedes Biosphärengebiet benötigt eine Besonderheit.“

Der SPHÄRMAN denkt: Oha, was ist denn das für eine irre Logik? 

Egger fordert die Biosphäre, weil wir Moore haben, ohne die die Biosphäre sinnlos ist. Darauf muss man erstmal kommen.

So etwas heißt Zirkelschluss, ein rhetorisches Täuschungsmanöver, das man schon in der Antike kannte.

Der Zirkelschluss ist ein Beweisfehler, in dem das zu Beweisende bereits als Voraussetzung enthalten ist. Ein gut vorgetragener Zirkelschluss wird oft überhört und ist bei Demagogen und Trickbetrügern beliebt. Und bei Timo Egger.

Schon länger war ich davon überzeugt, dass dieser Mann Karriere im Parteienstaat machen wird. Seit jenem Abend in Unterwaldhausen glaube ich sogar: Timo Egger hat das Zeug zum Bundeskanzler.

Zurück zur Ratsversammlung. Timo Egger sagt zum kritischen Gemeinderatsmitglied, das meint, die Wiedervernässung sei auch ohne Biosphäre möglich: „Wir könnten Modellregion für Wiedervernässung werden. Und Verschärfungen kommen auch ohne Biosphärengebiet. Deshalb haben wir die Ausstiegsklausel reinverhandelt.“

Puh, es wird immer verrückter.

Für mich klingt das wie: Stellt euch nicht so an, die machen euch ohnehin fertig.

Und dann Egger weiter: „…aber wenn Sie in die Politik kein Vertrauen mehr haben, ist sowieso alles verloren.“

Höhnisches Lachen aus den Besucherreihen. Timo Egger glänzt wie ein polierter Apfel. Körpersprachlich vermittelt der CDU-Multibeamte diese Botschaft: Ohne uns geht hier gar nichts. Niemals würde diesem vollversorgten Funktionsträger in den Sinn kommen, dass der Staat auch ohne ihn und seinesgleichen funktionieren könnte. 

Egger ist jetzt nicht mehr zu halten. Zum Forstbetriebsleiter von eben sagt er: „Sie tun ja gerade so, als ob sicher sei, dass Verschärfungen kommen.“ Dann lehnt er sich feist grinsend in den Stuhl zurück.

Darauf sagt Christoph Tholl: „Ja, mir reicht’s!“ 

Ein weiterer Gemeinderat meldet sich zu Wort: „Wir Bauern haben allen Grund zum Pessimismus. Wir verlieren mit jeder neuen Regelung.“

Nochmal Christoph Tholl: „Gibt es mehr Informationen zur Ausstiegsklausel?“

Timo Egger: „Wenn Gemeinden aussteigen, ist die Biosphäre tot. Die Ausstiegsklausel ist noch nicht verschriftet. Der Stand momentan ist wer freiwillig reingeht, darf auch freiwillig wieder raus. Dann muss man auf die Karte blicken und schauen, ob die Biosphäre weiterbestehen kann. Auf der Schwäbischen Alb gibt es schon eine Ausstiegsklausel. Aber dort darf eine Gemeinde nur raus, wenn das gesamte Biosphärengebiet dadurch nicht gefährdet wird.“

Bürgermeister Jochen Currle erkennt: Es ist genug geredet worden. Mit einem knappen Schlusswort beendet er die Fragerunde, um mit den ganz normalen Gemeindethemen fortzufahren: „Ich finde, es sollten mehr Leute aus der Bevölkerung hier sein.“

Franz Bühler packt Projektor und Unterlagen ein und verlässt mit Timo Egger den Raum. Christoph Tholl schließt sich dem Duo an. Es gibt wohl noch was zu besprechen.

Der SPHÄRMAN steckt Kuli und Notizbuch in den Mantel und steigt in sein Mietauto. Auf dem Rückweg nach Ravensburg kommt er wieder an dem Wegweiser vorbei: LUEGEN.

Er hält an, um sich zu vergewissern, wo dieses LUEGEN genau liegt. Auf dem Weg dorthin befindet sich das Gasthaus Saustall. Klingt verlockend, ist heute aber leider geschlossen.

ZWEITER TEIL DER REPORTAGE

In der Woche zuvor war der SPHÄRMAN schon mal in dieser Gegend. Damals führte ihn sein Weg nach Guggenhausen, der anderen Gemeinde unter Leitung von Jochen Currle.

Auch hier ein achtköpfiger bäuerlich geprägter Gemeinderat, der unter einem riesigen Kruzifix tagt.

Franz Bühler betritt den Raum, baut seinen Projektor auf, aber ohne Timo Egger. Der soll krank sein, heißt es. An seine Stelle tritt eine elegante und noch recht junge Juristin aus dem Landratsamt Ravensburg, die man eher in einer schicken Espressobar im Bankenviertel von Mailand verorten würde: Sarah Betschinger.

Der SPHÄRMAN gugelt den Namen und wird sofort zur Website von Betschingers Mann Simon gelockt, auf der sich beide Eheleute der Öffentlichkeit präsentieren.

Simon Betschingers Selbstbeschreibung: Unternehmer, Börsianer, Publizist. Unter dem Rubrum „politische Ziele“ steht: Als Ökonom stehen mir sprichwörtlich die Haare zu Berge, wenn ich verfolgen muss, wie unser Land langsam und schmerzhaft in eine bürokratisierte Planwirtschaft abrutscht…

Der SPHÄRMAN denkt: Das ist eine interessante Ehe. Die Frau geht ins Landratsamt arbeiten, derweil sich der Mann den Kopf darüber zerbricht, was der Beamtenstaat anrichtet.

Franz Bühler, Jochen Currle und Sarah Betschinger stehen aufrecht vor den Gemeinderatsmitgliedern. Die sitzen in schlichten Funktionsklamotten am Tisch und gucken interessiert auf das Trio. So wie man eben guckt, wenn man zuvor aus dem Stall kam, geduscht, sich frisch angekleidet und die Schuhe zugeschnürt hat, um zu hören, wie der Staat wieder einmal ins Leben einzugreifen gedenkt.

Und der Staat hat sich schick gemacht: Bühler mit dunkler Hose und dunklem Pulli im existenzialistischen Denkerlook. Currle mit seinem lässigen Galeristenjackett. Und Betschinger im dunklen, schwungvoll arrangierten After-Work-Wollensemble, das die Frisur mondän bis zum Boden verlängert. Das hat Stil.

Die Öffentlichkeit ist stärker vertreten als in der Woche später. 8 Besucher nehmen Platz. Der SPHÄRMAN mittendrin. Jochen Currle führt ins Thema ein, betont, dass ihm an bestmöglicher Information über die geplante Biosphäre gelegen sei.

Vor dem SPHÄRMAN hockt ein Mann, der ein dickes Bündel Flyer der sogenannten Allianz in den Händen hält. Der SPHÄRMAN denkt erfreut: Das wird nicht langweilig.

[ERKLÄRUNG: Die Allianz der Landeigentümer und Bewirtschafter ist ein Zusammenschluss von Forstwirten, Holzverarbeitern, Landwirten und ihrer Verbände, die sich vor einem Biosphärenreservat Oberschwaben-Allgäu bedroht fühlen. Die SchwäZ zählt folgende Mitglieder auf: Bauernverband Allgäu-Oberschwaben, die Forstkammer Baden-Württemberg, die Familienbetriebe Land und Forst Baden-Württemberg, der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, der Verband der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer Baden-Württemberg, sowie land- und forstwirtschaftliche Betriebe der Region. Es ist kein Geheimnis, dass sich unter den Biosphärenrebellen berühmte Adelsfamilien befinden, allen voran der streitbare Fürst Erich von Waldburg-Zeil. Allianz-Sprecher Michael Fick ist bei ihm als Förster angestellt. Aber auch kleine Waldbesitzer und Mitglieder von Genossenschaften sind in der Allianz vertreten.]

Franz Bühler spult seinen Lichtbildervortrag runter: keine Auswirkungen für Land- und Forstwirtschaft in den Entwicklungszonen usw.

Danach darf gefragt werden. Einer im Gemeinderat erhebt das Wort: „Das war vor 20 Jahren genauso. Als die FFH-Sitzungen stattfanden, hieß es, diese Regelungen hätten auf die Landwirtschaft keine Auswirkungen. Genau das Gegenteil ist passiert. Wir können jetzt wegen Vogelschutz nirgendwo mehr im Ort bauen.“

[ERKLÄRUNG: FFH steht für Flora-Fauna-Habitat. Der Schreck über den (von der ehemals alleinregierenden CDU begangenen) Betrug im Zusammenhang mit den FFH-Gebieten steckt vielen Landnutzern bis heute in den Knochen. Damals (um 2010) wurden weite Flächen – entgegen anderslautenden Versprechen der Politik – über die Köpfe der Eigentümer hinweg als Flora-Fauna-Habitat-Gebiete ausgewiesen und die Bauern mit erheblichen Einschränkungen bei der Bewirtschaftung belegt.]

Sarah Betschinger sitzt nun am Konferenztisch der Gemeinderäte und beugt sich Nähe suchend nach vorn: „Ich verstehe ihre Befürchtung absolut. Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Wir können nur über den aktuellen Stand informieren.“

Das ist keine befriedigende Antwort. Franz Bühler bemerkt das und sekundiert: „Wir können ihnen nichts garantieren, aber dieser Prozess läuft anders als bei FFH. Jetzt kommen die Karten und Sie können selbst entscheiden.“ 

Gemeint sind die Gebietskarten für das geplante Biosphärenreservat, die Ende März auf einem amtlichen Portal veröffentlicht werden sollen.

Ein Besucher fragt: „Was passiert, wenn eine Gemeinde sagt, wir machen nicht mit?“

Franz Bühler:„Anfangs war das nicht vorgesehen. Nach zwei Jahren hat sich herauskristallisiert, dass es gehen könnte. Ziel soll aber ein geschlossenes Gebiet sein, kein Schweizer Käse mit Löchern.“

Schnell entwickelt sich ein Wortwechsel über die Ausstiegsklausel für Gemeinden im Biosphärenreservat. Sarah Betschinger findet einen originellen Vergleich: „Es darf ein gallisches Dorf geben.“ Sie kennt Asterix.

Jochen Currle reißt die Augen auf, denn er weiß, dass solche plakativen Sprüche auf eine gepflegte Diskussion wirken wie Kerosin auf den Balkongrill, und sagt: „Lassen wir das mit dem Loch.“ Currle will das Gespräch in philosophische Gefilde umleiten und schwurbelt: „Die Frage ist doch eher – ist das Biosphärengebiet eine Verbots- oder Ermöglichungskulisse?“ 

Aber das gut gemeinte Manöver kommt zu spät.

Ein Besucher in Arbeitskleidung, der sich knapp nach Sitzungsbeginn direkt neben den SPHÄRMAN platzierte, explodiert förmlich und schreit: „DIE FRAGE IST, WOLLT IHR ÜBERHAUPT NOCH LANDWIRTE? SAGEN SIE JA ODER NOI!“

Kurze Stille.

Bis Jochen Currle das Wort ergreift. Er versucht zu beruhigen: „Ich sage JA. Ich sage, ich will Landwirte!“

Der aufgebrachte Besucher kommt nur langsam wieder runter: „Das ist eine Mordslausbuberei. Es ist eine Traktiererei.“

Sarah Betschinger etwas hilflos: „Bleiben wir bitte sachlich.“

Dann befriedet ein Gemeinderatsvertreter den Raum, indem er einen ungewöhnlichen Vorschlag äußert: „Warum lassen wir nicht die Flächenbesitzer abstimmen, was auf ihrem Boden geschieht? Warum müssen kleine Gemeinderäte über Flächen entscheiden, die ihnen gar nicht gehören?“

Jetzt wird es wirklich interessant.

Der SPHÄRMAN lockert die Finger, damit er alles mitschreiben kann, was gesagt wird.

Sarah Betschinger wirkt kurz wie vom Schlag gerührt, in ihren Augen steht das pure Staunen. Eine Diskussion über Eigentumsrechte? So etwas kann das Landratsamt gar nicht gebrauchen. Der Parteienstaat will durchregieren.

Betschinger fängt sich einigermaßen, plappert irgendwas, das sich halbwegs vernünftig anhört, auch wenn es das überhaupt nicht ist: „Ihr als Gemeinderäte seid das richtige Gremium, weil Ihr die Stimmung in den Gemeinden kennt. Und es geht ja nicht nur um Landwirtschaft, sondern auch um Tourismus etc.“

Auch Franz Bühler wirkt alarmiert und schaltet sich ein. Aber er findet auch nur Floskeln, um das gefährliche Vakuum zu füllen: „Es gibt viele Fördertöpfe. Das ist die Aufgabe eines Biosphärengebiets. Und die Leute zusammenzubringen. Ein Biosphärengebiet soll nicht strangulieren, sondern helfen. Es soll Spaß machen, sonst hat es keinen Sinn.“

Ja, ich glaube, es hat wirklich keinen Sinn. Kurz danach endet das Zusammentreffen.

ENDE DER REPORTAGE

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