Zum Selbermachen: Wie gründet man ein UNESCO-Biosphärenreservat – nicht?

BAWÜ-Umweltministerin Thekla Walker

Um ein UNESCO-Biosphärenreservat umzusetzen, sind administrative, politische und praktische Voraussetzungen zu erfüllen, damit das Projekt seinen Machern nicht um die Ohren fliegt. Anleitung und Rückblick.

Ein Naturschutzprofessor, der an einer schwäbischen Uni lehrt und namentlich nicht zitiert werden will, sagte kürzlich, Großschutzgebiete wie Biosphärenreservate seien bei Politikern neuerdings als Trophäen sehr begehrt, um die eigene Karriere zu schmücken.

Also, für alle Minister und Ministerinnen, die erwägen, ihre Amtszeit mit so einem Großschutzgebiet zu verzieren: Damit das Vorhaben gelingt, sind eine Menge Anforderungen zu erfüllen, sowohl administrativer als auch praktischer Natur. Und man braucht Geld. Viel Geld. Allein die jahrelange Vorbereitung dürfte Millionen verschlingen, ohne dass man weiß, was am Ende rauskommt.

Ok, letzteres ist nicht so dramatisch, zahlt ja der Steuerbürger, der sich nicht wehrt.

Zunächst muss es jemanden geben, der die Idee hat, beziehungsweise einen, der diese Idee klaut. Im Falle des Biosphärenprojekts Oberschwaben verlieren sich die Spuren im geschichtlichen Nebel.

Das Umweltministerium in Stuttgart antwortet auf meine Frage, wer Erfinder des Biosphärenprojekts Oberschwaben sei: „Das oberschwäbische Moor- und Hügelland war schon 1996 in einer ersten bundesweiten Liste potenzieller Biosphärenreservate aufgeführt und seither immer wieder im Gespräch als mögliches Biosphärengebiet – teils auch länderübergreifend mit Bayern. Es gibt also nicht den einen Vater oder die eine Mutter. Wünsche nach einem Biosphärengebiet wurden über einen langen Zeitraum breit in der Region diskutiert.“ Aha.

Wer hatte die Idee?

Vielleicht sollten die vom Umweltministerium mal intern nachforschen. Da gibt es nämlich einen Herrn im Grünen Arbeitskreis für Umwelt, der für sich reklamiert, einer der Erfinder der schwäbischen Biosphärenreservate zu sein.

Man schreibt das Jahr 1991. Während eines Vortrags über den Nationalpark Schwarzwald stecken die beiden NABU-Aktivisten Markus Rösler (Student der Landschaftsplanung) und Michael Succow (Moorforscher) die Köpfe zusammen. Das Fazit lautet dann wohl so: „Mir brauchet Biosphärenreservate.“

Rösler promoviert 1996 über das Thema „Arbeitsplätze durch Naturschutz am Beispiel der Biosphärenreservate und der Modellregion Mittlere Schwäbische Alb“ und bringt damit etwas ins Rollen. Succow ist sein Doktorvater. 2006 wird Rösler Parlamentarischer Berater für die Grünen in Baden-Württemberg. 2008 wird das Biosphärenreservat Schwäbische Alb eingerichtet.

Der zweite Vorstoß einer Biosphärenidee für Schwaben ist eine Anfrage im Stuttgarter Landtag. Dort fordern im Herbst 1996 → vier SPD-Abgeordnete die Regierung auf, im Bundesrat darauf zu drängen, den Begriff „Biosphärenpark“ als neue und eigenständige Schutzgebietskategorie mit ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Funktionen in das Bundesnaturschutzgesetz einzuführen, und schlagen drei schwäbische Standorte vor: im Nord- und Südschwarzwald, auf der Schwäbischen Alb und in Oberschwaben.

Landwirtschaftsministerin Gerdi Steiblin von der CDU beantwortet die Anfrage aus der SPD-Fraktion und gibt zur Auskunft, man habe längst ein Projekt, das diesen Charakter erfüllt. Es heiße PLENUM und werde in der Region Isny/Leutkirch erprobt.

So etwas haben wir längst

Steiblin: „Ziel dieser integrativen Naturschutzstrategie ist eine nachhaltige Wirtschaftsweise, die den Naturschutzzielen und den sonstigen ökologischen Belangen Rechnung trägt und gleichzeitig den bäuerlichen Bewirtschaftern Perspektiven bietet und ihre Existenz dauerhaft sichert.“ Weiter unten steht dann noch, PLENUM sei eines der Schwerpunktthemen der Landesregierung im Bereich Naturschutz.

Klingt alles fast genauso wie beim aktuellen Biosphärenprojekt Oberschwaben. Nur das nicht: „Für die im PLENUM-Projekt als Vorrangräume bezeichneten Gebiete gibt es keine Vorgaben, mit welchem Instrument die Naturschutzziele erreicht werden sollen. Eine Ausweisung als Schutzgebiet ist grundsätzlich nicht vorgesehen.“

Und auf einer wahrscheinlich längst vergessenen → Unterseite des Umweltministeriums von Baden-Württemberg steht: „PLENUM ist eine Naturschutzstrategie, die Umwelt- und Naturschutzziele nicht durch hoheitliches Handeln von oben, sondern auf freiwilliger Basis gemeinsam mit der Bevölkerung von unten erreicht.“

Keine Verbote, kein Druck von oben. 2011 erzielen die Grünen ihren historischen Wahlsieg in Baden-Württemberg und PLENUM verliert seine Bedeutung. Das Geld wird fortan in den hoheitlich gewünschten Biosphärentraum gesteckt.

Millionen für PLENUM

Was war PLENUM? 1995 hatte man in der sanften Hügellandschaft zwischen Isny und Leutkirch damit begonnen Ökologie und Ökonomie auszubalancieren. Die bekannte (und sauteure) Käseküche Isny ist ein Kind des Förderprogramms PLENUM, das in den Folgejahren erheblich ausgeweitet wurde und in ganzen Worten etwas umständlich „Projekt des Landes Baden-Württemberg zur Erhaltung und Entwicklung von Natur und UMwelt“ heißt.

Viele Millionen Fördergelder flossen seither in PLENUM, allein zwischen 2001 und 2012 genau 11,4 Mio. Euro. Man fragt sich 1996 im Stuttgarter Landtag vielleicht nicht zu Unrecht: Wozu ein neues Biosphärenreservat, wenn man sowieso schon etwas Ähnliches hat? Und der Deckel wird draufgemacht.

Ende Gelände für die Biosphäre Oberschwaben? Nicht für immer. Eine halbe Generation später tritt ein Bürgermeister auf den Plan und reanimiert die Idee: Rainer Magenreuter, der ab 2008 bis heute die Geschicke von Isny lenkt und jahrelang Berufserfahrung im Umweltministerium und im Landratsamt Alb-Donau-Kreis sammelte. Ein echter Bürokratieprofi.

Isny ist eine glückliche Gemeinde mit tollen Mittelständlern und üppigen Gewerbesteuereinnahmen von Dethleffs, (Wohnwagen) Blaser, Mauser und Sauer (Jagdwaffen), Gardinia (Einrichtung), Waldburg-Zeil-Kliniken (Gesundheit) etc.

Auf dem Biosphärentrip

Irgendwann Ender der 2010er-Jahre muss Magenreuter auf den Biosphärentrip gegangen sein. Immer wieder betont er die Chancen, die er für den regionalen Tourismus sieht. Doch der Widerstand ist groß. Insbesondere Landwirte und Waldbesitzer laufen Sturm. Sie halten die Folgen für unberechenbar (woran sich bis heute nicht viel geändert hat), denn es fehlt an Aufklärung und Information. Anfang 2011 meldet Magenreuter das vorläufige Aus seines Biosphärentraums.

10 Jahre ist Ruhe, dann ploppt das Thema wieder hoch. Allerdings weitab im fernen Stuttgart, wo sich Politiker Manne Lucha (Grüne, heute Gesundheitsminister) und die Abgeordneten Petra Krebs (Grüne) und Raimund Haser (CDU) für die Verankerung eines Biosphärenreservats Oberschwaben im Koalitionsvertrag einsetzen.

Über Haser heißt es heute, dass er sich vom Biosphärenzauber innerlich schon wieder verabschiedet hat. Aber: Pacta sunt servanda, würde der greise Pirat in Asterix murmeln, wenn sein Schiff von den Galliern wieder mal in Stücke gehauen wird. Ob auch die Biosphäre Oberschwaben nochmal versenkt wird?

2021 fällt der Startschuss

Auf jeden Fall setzt der Passus im grün-schwarzen Pakt von 2021 eine Mechanik in Gang, der dem Amtsschimmel das Wasser im Maul zusammenlaufen lässt. Gelder werden lockergemacht, Planstellen geschaffen und mindestens eine Werbeagentur mit der Lenkung der Biosphärenpropaganda beauftragt. Die Politik will das Projekt unbedingt.

Eine byzantinische Struktur entsteht: Steuerungskreis mit Vertretern von Umweltministerium und Regierungspräsidium, der Landkreise und Gemeinden; Dialogkreis mit Vertretern aus Naturschutz, Landwirtschaft, Gewerbe und Tourismus und sozialen Bereichen; Arbeitskreise mit weiteren Leuten aus denselben Feldern. Unter-Arbeitskreise für Kleingruppen, die einer Sonderbehandlung bedürfen.

Dann gibt es noch die Kommunale Arbeitsgemeinschaft Biosphärengebiet (KAB) mit den Bürgermeistern jener Gemeinden, die sich im sogenannten „Suchraum“ (was das ist, wird weiter unten erklärt) mit seinen Kern-, Pflege und Entwicklungszonen für das künftige Biosphärenreservat befinden. Und das Prozessteam für die Abstimmung mit den Gremien und die Umsetzung strategischer Vorgaben.

Dieses Prozessteam (klingt irgendwie nach Kafka) ist für Administration, Koordination, Öffentlichkeitsarbeit und Entwicklung von Konzepten zuständig und ist mit vier Experten bestückt: die Raumplanerin und ehemalige Entwicklungshelferin Lisa Polak, der Agrarbiologe Franz Bühler, der Förster und Waldpädagoge Berthold Reichle und Petra Bernert, die ehmalige Chefin des Biosphärenreservats Schwäbische Alb.

Letztgenannte verfügt über die längste Biosphären-Erfahrung im Prozessteam. Ab 2006 bereitete Bernert die Einrichtung des Schutzegebietes Schwäbische Alb vor und wurde 2009 seine Leiterin. 2018 verließ sie ihre Stelle.

Die Arbeit dieser Experten ist sicherlich interessant. Aber auch nicht billig. Bis 2026 soll der sogenannte „Prüfprozess“ für das Schutzgebiet dauern, dann könnte eine Entscheidung für oder wider das neue Biosphärenreservat fallen. Wer sich mit Beamtengehältern auskennt, kann sich ausrechnen, welche Summe bis zum Showdown zusammenkommt.

Fast 10x Liechtenstein

Weil die UNESCO möchte, dass ein Biosphärenreservat unter ihrer Obhut immer eine Besonderheit aufbietet, die sie von anderen Biosphärenreservaten unterscheidet, erklärt man die kümmerlichen Reste der vorzeitlichen Torflandschaft, die hier einst alles bedeckte, bevor irgendeiner das Wortpaar Oberschwaben-Allgäu zum ersten Mal aussprach, zum Aufhänger der Kampagne. So werden diese verstreuten Moorlandschaften zu sogenannten „Kernzonen“ des 180.000 Hektar großen Suchgebiets, das sich vom Federsee bei Bad Buchau bis zur Adelegg bei Isny und zum Pfrunger-Burgweiler Ried bei Wilhelmsdorf erstreckt und damit in drei Landkreisen liegt: Ravensburg, Biberach und Sigmaringen.

Maximal 150.000 Hektar darf ein UNESCO-Biosphärenreservat messen. Das ist 9,375-mal Liechtenstein. Mit dem feinen Unterschied: Kein Fürst beherrscht dieses Land, sondern der Mensch an der Spitze des Umweltministeriums in Stuttgart.

Was dann passiert, wird von Beobachtern des Projekts Biosphärenreservat Oberschwaben heute als fatales Versäumnis bezeichnet, in dem der Keim des Scheiterns steckt: Der Großteil aller Betroffenen im Suchgebiet erfahren aus der Zeitung von den Plänen der Regierung.

Diplomatisch unklug

Und das kommt so: Im Juli 2021 geht Umweltministerin Thekla Walker auf Rundreise, um das Gebiet eines möglichen Biosphärenreservats Oberschwaben-Allgäu zu erkunden. Nur wenige werden vorab informiert. Zum Beispiel Rainer Magenreuter, Bürgermeister von Isny, der schon 10 Jahre zuvor von einer Biosphäre träumte – und seine Pläne wieder beerdigen musste, weil die Gemeinde nicht mitzog. Oder der engagierte Naturschützer und Agraringenieur Andreas Morlok, der schon für PLENUM als Projektleiter wirkte und heute Sprecher der → Biosphärenbotschafter ist. Und natürlich Brauer Gottfried Härle aus Leutkirch, Gemeinderat und Vorzeigeunternehmer der Grünen.

In Walkers Gefolge: Regierungspräsident Klaus Tappeser, Landrat Harald Sievers, die Landtagsabgeordneten Petra Krebs, Raimund Haser und August Schuler. Potentielle Kritiker bleiben außen vor. Sogar solche, denen der Grund gehört, auf dem Walker steht und ihre Biosphärenpläne verkündet. Das ist diplomatisch nicht klug und zerdrischt Porzellan.

Kurz darauf berichtet die Schwäbische Zeitung im unterwürfigen Stil der DDR-Presse über den hohen Besuch: „Die positive Grundstimmung für die Einrichtung eines Biosphärengebiets von erfahrenen Akteuren in Sachen Nachhaltigkeit nahm Ministerin Walker erfreut zur Kenntnis. Sie freue sich auf einen fruchtbaren Entwicklungsprozess, sagte sie.“

Gar nicht erfreut reagieren viele, die erst durch diesen Artikel lernen, dass sie als Bewohner eines Biosphärenreservats eingeplant sind. Seitdem ist Polen offen. Oder besser gesagt: Oberschwaben-Allgäu.

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