Der Oberbürgermeister und Biosphärenwerber treibt ein trickreiches Spiel gegen den eigenen Gemeinderat.
Bei der letzten Bundestagswahl im Februar 2025 gewann die CDU in Bad Waldsee deutlich. Die Auswertung der Zweitstimmen ergab 38%. In der Bundestagswahl zuvor waren es 30%. Bundesweit erreichte die CDU deutlich weniger: 28,5%. DU-Wahlkreiskandidat Axel Müller hatte allen Grund, mit Bad Waldsee zufrieden zu sein.
Aber auch die AfD legte ordentlich zu und verdoppelte ihre Stimmen. 21,1 Prozent der Waldseer entschieden sich für die Partei. Im Jahr 2021 waren es noch 10,3 Prozent. Die Rechten sind heute zweitstärkste Kraft. SPD und Grüne liegen jeweils unter 11%.
Dann kam der kalkulierte Wortbruch von Friedrich Merz (Schuldenbremse) und eine Serie des Versagens begann: Rentenreform versemmelt, Stillstand in der Migrationspolitik, Lavieren in der Energiepolitik, überall noch mehr Bürokratie, obwohl das Gegenteil versprochen wird, usw.
Diese Regierung schafft nichts und so mancher, der dem Wahlsieger CDU sein Vertrauen schenkte, dürfte das inzwischen bereuen. Die Konsequenz: In bundesweiten Umfragen liegt die AfD jetzt schon vor der CDU und auch in Baden-Württemberg gewinnen die Rechten dazu. Sie haben die Grünen als Nummer zwei abgelöst.
Was hat das alles mit Bürgermeister Matthias Henne zu tun?
Ganz einfach: Wer die Menschen belügt, unhaltbare Versprechen macht und die eigenen Gremien vor den Kopf stößt, verliert und macht Platz für andere. Das gilt für Friedrich Merz auf oberster Ebene wie auch für Matthias Henne in der unteren Sphäre der Demokratie – im kommunalen Bereich. Politische Amtsträger, deren Herkunftsparteien Regierungsverantwortung tragen, stehen unter Druck. Sie benötigen bessere Nachrichten.
Nach der Wahl ist vor der Wahl und auch Henne braucht etwas, das er dem Wahlvolk als Erfolg verkaufen kann. Nun bietet sich eine für die Stadt Bad Waldsee höchst attraktive Chance an, die Matthias Henne zum lokalen Superstar krönen würde. Eine Trophäe, für die es sich vielleicht sogar lohnt, dem eigenen Gemeinderat ein Bein zu stellen.
Allerdings: Ob Henne in den Genuss dieses Segens kommt, entscheidet Stuttgart. Welches Pfund das ist und wie es mit der Biosphäre Oberschwaben zusammenhängt, erkläre ich dir jetzt.
Wie der SPHÄRMAN im vergangenen Juli darlegte, existiert zwischen Stuttgart und diversen Bürgermeistern im Land ein reger Handel um Zustimmung zum jeweiligen UNESCO-Biosphärenreservat. Zum Artikel geht’s → hier.
In kurzen Worten: Amtsträger verdealen Biosphärenliebe zugunsten ihrer klammen Gemeindekasse oder um andere Vorteile zu erzielen. Mit Überzeugung hat das wenig zu tun. Das ist nichts Neues und wenig Grund sich schrecklich aufzuregen. Unsere Demokratie funktioniert (oft) so.
In der Biosphäre Schwarzwald läuft es wie folgt: Dort macht sich Unmut breit, weil von versprochenen Segnungen der Biosphäre in den Kommunen wenig angekommen ist, heißt es. Man droht mit Austritt.
Der SPHÄRMAN sprach mit Bürgermeister Sebastian Stiegeler im beschaulichen Kurort Höchenschwand. Die Gemeinde liegt nicht vollständig im Schutzgebiet, steuert aber einen wichtigen Teil zur Kernzone des UNESCO-Biosphärenreservats Schwarzwald bei.
Stiegeler ist gar kein prinzipieller Gegner seiner Biosphäre, sagt aber zum SPHÄRMAN: „Die immer weiter ausufernde Bürokratie behindert uns in der Entwicklung, und da spielt das Biosphärengebiet leider auch eine Rolle.“
Und dann wird er konkreter. Stiegeler rät, sich die Bürokratie-Zahlen genauer anzusehen, denn so eine Biosphäre verursacht nicht nur neue Stellen, die der Steuerzahler zu finanzieren hat, sondern saugt aus den bestehenden Verwaltungsstrukturen auch noch Kapazitäten ab. Und sie stützt Doppelstrukturen.
Sebastian Stiegeler: „In der Biosphären-Geschäftsstelle in Schönau arbeiten ca. 20 Personen in den unterschiedlichsten Fachbereichen. Dazu kommen noch etliche Zuständigkeiten im Landratsamt Lörrach in den Bereichen Naturschutz, Wasserrecht und Einsatz von Förderprogrammen. Zusätzlich unterhalten wir mit dem Naturpark Südschwarzwald, in dem das UNESCO-Biosphärengebiet liegt, nahezu Doppelstrukturen. Das ist alles viel zu langsam, zu viel, zu groß.“
Wieso erzählte Sebastian Stiegeler das alles dem SPHÄRMAN, wenn er doch gar nicht TOTAL gegen die Biosphäre ist?
Weil er mit Stuttgart einen Deal will.
Hier schließt der SPHÄRMAN den Bogen zu Waldsee-Bürgermeister Matthias Henne, der via „Schwäbische Zeitung“ allen Ernstes verspricht: „Es entsteht keine zusätzliche Bürokratie.“
Das ist totaler Quatsch, denn in Baden-Württemberg sind beide Geschäftsstellen der bestehenden UNESCO-Biosphärenreservate Schwäbische Alb und Schwarzwald jeweils dem zuständigen Regierungspräsidium unterstellt. Man kann es drehen, wie man will: Ein deutsches Biosphärenreservat ist Bürokratie pur.
Wenn ein topausgebildeter Verwaltungsfachmann wie Henne das Gegenteil behauptet, kann es sich nicht um einen Versprecher handeln, sondern muss blanke Lüge sein.
Warum macht das ein Bürgermeister, der von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilt und in seiner Stadt hochangesehen ist?Nochmal: Die AfD rückt dem CDU-ler auf die Pelle.
Apropos CDU: Schaut man sich Hennes private Politikerwebsite genauer an, muss man die Buchstabenkombi CDU sehr genau suchen. Sie steht nicht (wie oft üblich) in fetter Schrift ganz oben, sondern findet sich im Kleingeschriebenen unter der Rubrik „Interessen“. Zwischen Mitglied im Bezirksvorstand der Kommunalpolitischen Vereinigung und Mitglied der Narrenzunft Waldsee e.V. steht dann: Mitglied der Christlich Demokratischen Union (CDU). Noch diskreter kann man seine politische Heimat nicht verbergen.
Bastelt Matthias Henne an einer Karriere jenseits der CDU?
Das könnte erklären, warum er so wacker ins grüne Horn stößt. Genauso wie Bürgermeisterkollege Timo Egger, den Stuttgart zum einflussreichen Koordinator der Biosphärenwerbung erhob und vielleicht noch ganz andere Versprechen machte.
Jetzt ganz konkret: Warum lügt Henne so unverfroren?
Die mögliche Antwort: Weil er aus Stuttgart den Zuschlag für die Landesgartenschau (LGS) begehrt. Das raunt man sich im Waldseer Gemeinderat und in den Gassen des Städtchens zu. Henne braucht eine Trophäe, um sich langfristig die Gunst des Wahlvolks zu sichern. Die LGS käme da gerade recht.
Zwar sind alle LGS-Orte bis 2036 vergeben, aber die Entscheidung für 2037 steht noch aus. Im Rennen ist neben Bad Waldsee bisher nur ein öffentlich bekannter Rivale: Friedrichshafen. Landesgartenschauen sind besucherstarke Großprojekte und Konjunkturprogramme, die ihrem Austragungsort einen regelrechten Boom verpassen und das Image der lokalen Funktionselite bestrahlen. Der SPHÄRMAN hat es selbst erlebt, als er die LGS in Wangen besuchte. Im Vorfeld berichtete die Deutsche Presseagentur (dpa): „Private und öffentliche Gelder in Höhe von 317 Millionen Euro werden mit der Ausrichtung der Landesgartenschau 2024 in Wangen investiert.“
Ein altes Industriegebiet mit Wohnungen für rund 1.500 Menschen, einem Kindergarten, einer Veranstaltungshalle und Gewerberäumen für rund 500 Arbeitsplätze wurde frisch herausgeputzt, neue Rad- und Fußwege inklusive fünf neuer Brücken und eine Parkanlage errichtet. Das freut die Wirtschaft und die Bürger. Dafür kann man schonmal den eigenen Gemeinderat ausbremsen und die Öffentlichkeit mit Biosphärenmärchen belügen.
Wie gut Matthias Henne die Kunst des Deals beherrscht, könnte ein anderer Vorgang belegen. Im Frühsommer 2025 verschickt die Allianz für Oberschwaben (Vereinigung der Gegner des geplanten Biosphärenreservats) einen Brief an Gewerbetreibende in Bad Waldsee und Umgebung. Tenor: Mit der Biosphäre kommen noch mehr Bürokratie, Einschränkungen und erhöhter Verwaltungsaufwand. Außerdem gehe die Selbstbestimmung der Kommune flöten.
Dramatisches Zitat: „Die Entscheidungsgewalt liegt zunehmend nicht mehr in unserer Region, sondern bei Behörden in Tübingen, Stuttgart, Berlin – und sogar in Paris.“
Appell am Schluss: „Sprechen Sie mit Ihren Gemeinderäten. Prüfen Sie die langfristigen Folgen dieser Entscheidung für Ihren Betrieb, Ihre Mitarbeiter, unsere Region.“
Die Reaktion aus dem Waldseer Rathaus ist drastisch. Bürgermeister Matthias Henne lässt der Allianz einen gepfefferten Wutbrief zukommen, der dem SPHÄRMAN zugespielt wurde. Erster Kommentar: „Ich bin entsetzt!“
Dann zieht Henne vom Leder und spart nicht mit Vorwürfen gegenüber der Allianz: Falschinformation, Täuschung, Spaltung der Gesellschaft. Zitat gegen Ende: „Ein solches Schreiben ist eine Frechheit!“
So weit, so wütend. Dann gehen Wochen ins Land. Und ein offener Liebesbrief der weltbekannten Erwin Hymer Group an Matthias Henne macht die Runde. Unterzeichnet von Hymers PR-Chef Stefan von Terzi. Der Wohnwagen-Hersteller Hymer ist ein wichtiger Arbeitgeber und Steuerzahler in Bad Waldsee. Zum Konzern gehören auch die Marken Bürstner, Dethleffs und LMC.
Einleitung des Hymer-Briefs an Henne: „Für unseren Austausch zum Biosphärengebiet Allgäu-Oberschwaben [Anmerkung: Fehler, Allgäu ist raus] möchte ich Ihnen, auch im Namen von Alexander Leopold [Hymer-Chef], herzlich danken. Wie im Gespräch angekündigt, hier die Stellungnahme der Erwin Hymer Group…“
Dann: „Den Versuch einzelner Interessensgruppen, das Vorhaben mit einer von Emotionen geprägten Lobbyarbeit im laufenden Prüfprozess zu stoppen, um eine breite gesellschaftliche Meinungsbildung zu verhindern, halten wir für bedenklich. Als einer der führenden Hersteller von Freizeitfahrzeugen in Europa und größter Arbeitgeber der Region empfiehlt die Erwin Hymer Group, den Prüfprozess wie geplant durchzuführen…“
Wie nett. Aber auf den SPHÄRMAN wirken diese Worte etwas zu kühl für einen Liebesbrief. Als wären sie bestellt worden. Liebt Hymer die Biosphäre wirklich so sehr oder gilt die Hingebung etwas anderem?
Wer blickt schon in die Herzen anderer Leute…
Ach ja: Vor nicht allzu langer Zeit beschloss der Gemeinderat von Bad Waldsee unter dem Vorsitz von Matthias Henne die Erweiterung des Gewerbeparks Wasserstall im Norden des Stadtgebiets. Heikle Fragen den Natur- und Tierschutz betreffend mussten sorgfältig abgewogen werden. Es ist schon lange nicht mehr selbstverständlich, dass solche Anträge einigermaßen reibungsfrei durchgehen.
Aber es klappte. Auf der erweiterten Gewerbefläche kaufte die Erwin Hymer Group 21.000 Quadratmeter Grund, um ihre Produktionskapazität zu erhöhen. Das Investitionsvolumen beträgt 30 Mio. Euro, teilte Stefan von Terzi der Öffentlichkeit mit.




