Nach dem Aus der Biosphäre Oberschwaben: So lief die dramatische Abstimmung von Bad Waldsee, die alles veränderte.
Das UNESCO-Biosphärenreservat Oberschwaben ist Geschichte. Das bestätigte Thekla Walkers Umweltministerium gestern Abend dem SWR.
In einem offenen Brief, der sich an die Ministerin richtet, beklagt Walkers wichtigster Biosphärenwerber, der Multi-Beamte Timo Egger, gesellschaftliche Spannungen und Polarisierung, die einen ruhigen Diskurs verhindert hätten. „Einzelne Interessensgruppen“ haben das Projekt verhindert, schreibt Egger sinngemäß.
Dieser Nachricht ging ein wichtiges Ereignis voraus: Mit großer Mehrheit stimmte der Gemeinderat der Großen Kreisstadt Bad Waldsee nach intensivem Austausch von Argumenten am Montagabend für den Ausstieg aus dem Prüfprozess. Die Gremienmitglieder hatten es sich nicht leicht gemacht. Davon zeugen zahlreiche Wortmeldungen für und wider das Schutzgebiet. Der SPHÄRMAN war dabei und dokumentiert, was er erlebte.
Kleiner Spoiler: Auch was er NACH der Sitzung sah, ist interessant und widerlegt die Behauptung von einer Spaltung der Gesellschaft durch die Biosphärendiskussion.
Nein, der Spalt verläuft NICHT durch die Gesellschaft, sondern klafft zwischen frustrierten Bürgern und verschwenderischen Politiker-Beamten, die eigene Pläne verfolgen.
Es ist ein frischer Herbstnachmittag. Der SPHÄRMAN spaziert am Ufer des Stadtsees entlang. Langsam beginnt es zu dämmern. In wenigen Stunden will die Stadt entscheiden, ob sie Teil der Biosphärenpläne Stuttgarts sein will. Seit Wochen duellieren sich Befürworter und Gegner einigermaßen ritterlich um die Deutungshoheit.
Waldsees junger und hochgewachsener Stadtchef Oberbürgermeister Matthias Henne (irgendwie noch CDU-Politiker) ist Biosphärenfan. Er zog alle Register, um das Lieblingsprojekt der GRÜNEN zu stützen.
Hymer-Chef Christian Bauer sprang ihm zur Seite. In seinem letzten Newsletter beschrieb der SPHÄRMAN, wie die Wohnwagenfirma (wichtigster Arbeitgeber der Stadt) von einer großzügigen Flächenumwidmung der Stadt profitierte.
Vor wenigen Tagen eilte auch noch der Multi-Beamte und Ex-Landrat von Reutlingen Thomas Reumann herbei, um von angeblichen Segnungen zu berichten, welche die Biosphäre Schwäbische Alb über Land und Leute brachte.
Das alles geht dem SPHÄRMAN durch den Kopf, während erdiger Laubduft in seine Nase dringt. Er weiß noch gar nicht, dass er in Kürze staunend erlebt, wie Reumann als „Biosphärenexperte“ versucht, die störrischen Gemeinderäte auf Linie zu bringen. Dazu gleich mehr.
Auch die „Schwäbische Zeitung“ lieferte Unterstützung und machte sich in einem überfreundlichen Interview zum Stichwortgeber Hennes. Kritische Fragen? Nicht in der SchwäZ. Das erlebt man dort selten, wenn es um die Bedürfnisse von GRÜNEN geht.
Schon länger weiß man um die biosphärenfeindliche Tendenz im Gemeinderat. Es wird bezweifelt, ob die Biosphäre der Stadt nutzt und befürchtet Risiken für die Wirtschaft. Dem SPHÄRMAN wurde zugetragen, dass Henne sich trotzdem tapfer und hartnäckig durch das Gremium telefonierte, um einen Meinungsumschwung zu bewirken.
Aber auch die Gegner der Biosphäre waren nicht untätig. Von intensiver Lobbyarbeit durch die „Allianz für Oberschwaben“ (hauptsätzlich Landbesitzer und Gewerbetreibende) ist die Rede.
Das wird auf jeden Fall ein spannender Abend, denkt sich der SPHÄRMAN und blickt zum Neubau-Flügel der Stadtverwaltung hoch, der wie ein gigantischer Finger in die Mitte des Sees weist. Oben links sitzt gut ausgeleuchtet im weißen Hemd am Schreibtisch: Oberbürgermeister Matthias Henne. Man kann ihn hinter dem Fenster gut erkennen.
Henne arbeitet konzentriert vor einem großen Doppelbildschirm. Die Anzugjacke ist über die Sitzlehne gespannt. Gelegentlich führt er mit hastiger Bewegung die Hand ans Gesicht. Feilt er an einer Biosphären-Ansprache? Natürlich kann der SPHÄRMAN nicht ins Innere des Mannes blicken. Nervosität vor diesem Termin wäre allerdings mehr als verständlich. Henne pokert hoch. Es heißt, fast der gesamte Gemeinderat steht gegen ihn.
Der SPHÄRMAN schaut Matthias Henne noch ein paar Minuten zu, dann schlendert er weiter. Es fröstelt ihn. Ein Glockenschlag tönt. Der kommt vom prächtigen Turm über dem Wurzacher Tor. Im Gemeinderat der Nachbarstadt erlitten die Biosphärenfreunde neulich eine herbe Niederlage. Ein schlechtes Omen für Henne? Es ist punkt Viertel vor fünf und der SPHÄRMAN freut sich auf einen heißen Kakao.
Zwei Stunden später. Der SPHÄRMAN betritt aufgewärmt das mittelschöne „Haus am Stadtsee“. Der große Bau bietet einen riesigen Veranstaltungssaal mit Galerie. Hier ist heute Gemeinderatssitzung. Vor dem Raum stehen zwei nette Menschen mit selbstbeschrifteten Schildern. Da steht „Biosphäre = unser Lebensraum“ und „Innovationschancen für Oberschwaben ohne Bürokratie und Risiko“.
Der SPHÄRMAN rätselt: Sind das nun Freunde oder Gegner der Biosphäre? Die Slogans könnten für beide passen. Dann stellt sich raus: Unten steht ganz klein Pro Biosphäre. Aha.
Der SPHÄRMAN bittet um Erlaubnis, beide zu fotografieren. Einer fragt: „Wer sind Sie?“ Der SPHÄRMAN sagt: „der Sphärman“. Die zwei Biosphärenfreunde bleiben trotzdem nett. Der SPHÄRMAN betritt den Saal, schreitet die belegten Brötchen für die Sitzungsteilnehmer ab und inspiziert die Innenarchitektur. Oben auf der Galerie ist es schon knallvoll. Kein Platz mehr. Unten sind auch schon alle Stühle besetzt.
Gemeinderatssitzungen sind keine Publikumsmagneten. Üblicherweise. Aber dieser Saal wirkt wie vor einem Konzert. Die Stimmung ist aufgekratzt. Die Mehrzahl der Besucher ist jenseits der 50. Aber auch Junge sitzen dazwischen. Die mit den orangen Warnwesten dürften Bauern mit Protestpotenzial sein. Ihre Position zur Biosphäre ist eindeutig. Hoffentlich bleiben alle gesittet.
Unten sitzen die Gemeinderäte auf U-förmiger Bestuhlung. Ihnen gegenüber an einer langen Tischreihe OB Matthias Henne, Bürgermeisterin Monika Ludy (angeblich kein Biosphärenfan), zwei Verwaltungsmenschen und etwas abseits ein festlich herausgeputzter Herr mit professoraler Aura. Der SPHÄRMAN lehnt sich an die Wand und wartet, dass es losgeht.
Matthias Henne eröffnet die Veranstaltung mit einem überraschenden Zug: Er schiebt den Ex-Landrat und „Biosphärenexperten“ Thomas Reumann ins Scheinwerferlicht. Sozusagen als Vorgruppe, um im Konzertbild zu bleiben. Reumann soll den Saal aufheizen.
Dunkler Anzug, weißes Hemd, Krawatte in Bordeauxrot. In tadelloser Körperhaltung tritt der Mann ans Rednerpult und rückt mit würdevoller Geste die dünn berahmte Denkerbrille zurecht. Für den Ex-Politiker ist der öffentliche Auftritt ganz offensichtlich keine Qual. Einer der ersten Sätze: „Ich habe das Biosphärengebiet Schwäbische Alb mitentwickelt.“ Der Pfahl ist eingeschlagen.
Was dann rhetorisch einwandfrei aus dem Mund des CDU-Menschen fließt, ist eine 10-minütige Werbesendung der GRÜNEN-Landtagsfraktion.
Die ersten Botschaften: „Nach 10 Jahren stimmen 73% der Bevölkerung dem Biosphärengebiet Schwäbische Alb zu.“ Dann: „Wir haben die regionalen ökonomischen Effekte des Biosphärengebiets untersuchen lassen. Die zusätzlichen Besucher des Biosphärengebiets lassen 16 Mio. da.“
Der SPHÄRMAN wäre fast schon weggedämmert, da schreckt er plötzlich auf. Da war doch was – diese 16 Millionen haben ihn doch schon einmal beschäftigt. Wo war das?
Stimmt: Irgendwann im letzten Jahr erzählte ein gewisser Achim Nagel, Chef der Biosphäre Schwäbische Alb, er gehe davon aus, dass Touristen jährlich 16 Millionen Euro in die Region bringen. In seiner Rechnung seien auch Gelder erfasst, die Touristen beim Bäcker oder Metzger ausgeben. Ebenso mit eingerechnet werden Profite, die in Kassen der Handwerker fließen, weil sie womöglich den Wasserhahn in irgendeiner Pension reparieren. So stand es in der SchwäZ.
Das interessierte den SPHÄRMAN sehr und er fragte bei Achim Nagel höflich nach, durch welche Methode man auf die 16 Millionen gekommen sei. Befragen Verkäufer oder Verkäuferinnen in Metzgereien und Bäckereien der Biosphäre die Kunden nach ihrer Herkunft?
Die Frage blieb unbeantwortet.
Weil das enttäuschend war, klapperte der SPHÄRMAN wichtige Einzelhändler an stark frequentierten Orten der Biosphäre Schwäbische Alb ab und erkundigte sich, ob das Geld von Touristen separat erfasst werde.
Nein, in keinem einzigen Betrieb. Deshalb kann diese Summe auch nicht weitergemeldet worden sein.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass diese 16 Mio. Euro eine Fantasiezahl ist, die jetzt durch alle möglichen Drucksachen des Landes geistert, um für die Biosphäre Oberschwaben zu werben.
Bediente sich der ehrpusselige Thomas Reumann in seinem Gemeinderatsauftritt einer getürkten Zahl?
Dann erzählt Reumann eine Story über hochwertige Lebensmittel aus der Biosphäre, die bei REWE gelistet sind und meint damit die Biosphärenmarke Albgemacht. Auch dazu recherchierte der SPHÄRMAN im November 2023 und erfuhr von einem der Lieferanten dieser leckeren Waren, dass ohne Förderungen das ganze Projekt längst eingestellt worden wäre. Denn Geld verdienen kann man damit nicht. Zitat aus dem SPHÄRMAN-Interview: „Betrieblich bringt mir das Biosphärenreservat weder Vor- noch Nachteile.“
Zum ganzen Interview geht’s → hier.
Weiter geht’s in der Reumann-Show: „Wir haben zwei Biosphärenkindergärten. + Die Stadtwerke Nürtingen liefern Bienenstrom. + Wir haben das Projekt Fahrtziel Natur mit der Bahn entwickelt + und ein ICE mit dem Namen Biosphärengebiet Schwäbische Alb macht für uns Reklame.“
Dann übernimmt der alte Fuchs den Hymer-Ball von Matthias Henne, spielt ihn weiter und wirbt für die Fortsetzung der Biosphärenkampagne, indem er spricht: „Es hat mich beeindruckt, was der Vorsitzende von Hymer gesagt hat, der meinte, dass der Prüfprozess die Entscheidungsgrundlagen noch liefere.“
Damit kommt Reumann zum wichtigsten Punkt: die sogenannte „Bürgerbeteiligung“ unter Ausklammerung der Kommunalpolitik. Nicht nur der SPHÄRMAN hält das für eine Entmachtung der Gemeinderäte.
Zum Schluss das unvermeidliche Mantra aus Stuttgart: „Es gibt keine Einschränkungen“. Wie hartnäckig sich diese verlogene und längst widerlegte Behauptung der Mächtigen hält, verwundert den SPHÄRMAN am allermeisten. Reumann schließt seinen Vortrag, wünscht den Gemeinderäten eine gute Entscheidung und begibt sich zurück zur bürgermeisterlichen Tischreihe.
Auftritt Matthias Henne. Der OB ist klug und spart mit Biosphären-Lobhudelei, kommt direkt zur Sache: „Die Menschen in der Region sollen selbst zu Wort kommen. Es soll MIT ihnen, nicht ÜBER sie gesprochen werden.“
Das ist demagogische Rhetorik vom Feinsten. Henne dreht den Spieß um und erklärt das Ausbooten der Demokratie zu ihrer Ermächtigung. Er muss das sorgfältig eingeübt haben.
Auf den SPHÄRMAN wirkt dieser geschniegelte Beau (taillierter dunkler Anzug, weißes Hemd, blassblaue Krawatte, Uhr mit schwarzem Ziffernblatt und goldfarbenem Band) wie ein Karrierist der Postdemokratie.
Hat jemand die TV-Serie „The Regime“ mit Kate Winslet gesehen?
Henne fährt fort und wirbt für die online organisierte Bürgerbeteiligung. Damit erreicht man automatisch eine ganz bestimmte Klientel. Der SPHÄRMAN kennt den Trick von einer Biosphärenumfrage im Spessart und hat darüber berichtet. Teile der Bevölkerung, die linken Anliegen eher abgeneigt sind, fallen raus. Das Ergebnis: Biosphärenzustimmung.
Henne: „Ein Bürgerforum sortiert und bewertet die Argumente. Es ist ein wissenschaftlich begleiteter Prozess. Ich sehe das als Demokratie in seiner reinsten Form.“
Und immer wieder fällt die Wortstanze MITEINANDER, dass dem SPHÄRMAN ganz schwindlig wird.
Dann ein Seitenhieb gegen die „Allianz“ und ihre Kampagne: „Diese Fragen über Bürokratie dürfen uns nicht lähmen, wenn es um unsere Zukunft geht. Wir dürfen diesen Prüfprozess nicht abwürgen.“
Letzter Satz: „Entweder wir nutzen diese historische Chance oder wir werden uns eines Tages fragen müssen, warum wir sie vertan haben.“
Matthias Henne gab alles. An dieser Rede wird es nicht liegen, falls die Abstimmung danebengeht. Nun sind die Gemeinderäte dran. Was noch keiner ahnt: Es wird fast zwei Stunden dauern.
Der SPHÄRMAN geht nicht auf alle Inhalte ein, weil die Beiträge Überschneidungen aufweisen und vieles schon bekannt ist. Doch was hier anders ist als in den Gemeinderatssitzungen zum Thema Biosphäre, die der SPHÄRMAN bisher besuchte: Vor allem die Gegner haben sich tief in die Materie eingearbeitet. Zwar ist nicht jeder mit Redetalent gesegnet, doch inhaltlich hat alles Hand und Fuß.
Und auch die Befürworter glänzen. Zwar nicht durch Faktendichte (die es auch nicht geben kann, denn Stuttgarts Kampagne enthält wenig Informationen), aber durch Leidenschaft, Zuversicht und viel Vertrauen in den Staat.
Was dem SPHÄRMAN gefällt: Beide Seiten zollen der jeweils anderen Position Respekt. Es gibt harte Ansagen, aber wenig Polemik. Bis auf ein paar kleine Ausrutscher. Würde der SPHÄRMAN so höflich schreiben, hätte er bald keine Leser mehr.
Es ist der stämmige CDU-Mann und Protagonist des Anti-Biosphären-Antrags Maximilian Klingele, der gleich zu Beginn einen der wenigen deftigen Sprüche des Abends vom Stapel lässt. Über das Projekt Bürgerbeteiligung sagt er: „Es ist der blanke Hohn, den Bürger vorzuschieben, wenn einem das Meinungsbild nicht schmeckt.“ Lauter Applaus im Publikum.
In Bad Waldsee würden lediglich vier bis fünf von insgesamt 20.000 Bürgern einbezogen werden, rechnet Klingele vor. Matthias Henne schüttelt verärgert den Kopf. Dann die Ansage: „Wenn wir Entscheidungen fällen, dann ist das demokratisch. Vorwürfe, wir seien undemokratisch, delegitimieren unser Gremium.“ Das Thema wird noch ein paarmal hochkommen.
Der nächste Sprecher ist Bernhard Schultes, Chef der Freien Wähler, der sich (und das ist allen im Gremium bekannt) gegen seine eigene Fraktion stellt. Das kommt nicht alle Tage vor. Schultes vergleicht die Kommunikation der „Allianz“ mit Donald Trumps Fake-News-Kampagnen, bleibt aber Belege schuldig. Die Sprachregelung kennt man von den GRÜNEN.
Lucia Vogel, die Fraktionssprecherin der GRÜNEN, hält den Exit-Antrag der CDU für undemokratisch, unfair und arrogant. Sie verspürt eine positive und begeisterte Aufbruchstimmung auf Seiten der Biosphärenfreunde und hat damit ganz sicher recht. Zitat: „Dieser Prozess darf nicht gestoppt werden.“ Heftiger Applaus. Matthias Henne blickt angespannt in die Runde.
Karl Schmidberger von der SPD würde gerne den Prüfprozess fortsetzen und ist der Meinung, dass er noch zu wenig Informationen serviert bekam, um eine Entscheidung zu fällen. Zitat: „Bitte, bitte lasst uns weiter im demokratischen Sinn darüber streiten, was der richtige Weg ist.“ Auch dieses Thema werden noch einige andere im Raum ansprechen – aber mit gegensätzlichem Fazit.
Dann spricht wieder einer gegen die Fortsetzung des Prüfprozesses: „Kein Land- und Forstwirt arbeitet gegen die Natur. Diese Menschen wissen, wie man die Flure enkeltauglich bewirtschaftet.“
Ein anderer will weitermachen, eventuell auch ohne das UNESCO-Siegel: „Wir verkleinern die Chance, miteinander ins Gespräch zu kommen.“
Einer ergänzt: „Die Bürger wollen mitgenommen werden.“
Ein Vierter geht auf den Vorwurf ein, der dem CDU-Antrag undemokratischen Geist unterstellt und will aussteigen: „Die Bürgerbeteiligung hat meiner Meinung nach bereits stattgefunden. Ich sehe den sozialen Frieden gefährdet.“
Marc Hinder von den Freien Wählern ergänzt: „Die Bürger können sich seit Langem auf Internetseiten informieren. Der offizielle Zeitplan des Prozessteams ist längst überschritten. Der Gemeinderat erlebt jeden Tag Bürgerbeteiligung in Reinform. Wir brauchen nicht mehr Regeln, sondern weniger.“
Immer wieder brandet Applaus auf. Sowohl für Gegner als auch für Befürworter des Ausstiegs. Vereinzelt ruft einer buh, aber das Publikum bleibt insgesamt sehr diszipliniert.
Einer, dessen Namen der SPHÄRMAN nicht versteht, sagt etwas Wichtiges: „Wir Gemeinderäte sind mit der Basis ständig in Kontakt. Seit einem Jahr beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema. Der interessierte Bürger hat seit zwei Jahren die Gelegenheit, sich zu informieren.“ Und dann spielt er auf das Stuttgart-Mantra KEINE EINSCHRÄNKUNGEN an: „Es ändert sich sehr wohl etwas in der Entwicklungszone, obwohl das Gegenteil behauptet wird.“
Zwei Räte reden nicht viel, aber übergeben 400 Unterschriften für den Ausstieg an OB Henne. Der bedankt sich höflich.
Und nochmal ein Seitenhieb gegen Karl Schmidberger, der sagt, dass er nicht genug Informationen bekam: „Jeder Gemeinderat hatte zwei Jahre die Möglichkeit, sich über das Biosphärengebiet zu informieren.“
Es folgt ein Redebeitrag, den der SPHÄRMAN besonders interessant findet. Die studierte Tourismusfachfrau Miriam Weiss geht auf Ex-Landrat Thomas Reumann ein und kommentiert dessen Ausführungen über den Aufschwungbringer UNESCO-Biosphäre: „Ein solches Label ist kein Garant für touristischen Erfolg.“
Miriam Weiss über die Schwäbische Alb: „Trotz vieler Projekte hat sich der Tourismus dort ähnlich entwickelt wie in anderen Gebieten Süddeutschlands. Ein Wachstumseffekt durch das Biosphärengebiet ist wissenschaftlich nicht belegbar.“
Wumms. Offenbar hat sich diese Frau durch die Materie gewühlt und Interessantes gefunden. Der SPHÄRMANN wird Weiss darüber noch genauer befragen und denkt an seine eigenen Alb-Recherchen, zu denen die Schwabenpresse nicht fähig war. Endlich bestätigt jemand seine Arbeit. Stuttgart hat die ganze Zeit gelogen.
Zum Schluss darf CDU-Klingele nochmal sprechen. Der sagt: „Hier fehlt das Vertrauen. Und zwar zur höheren Ebene, nicht im Kreis und nicht in der Stadt.“ Klingele erinnert an den FFH-Betrug, als die Landwirtschaft vom Staat belogen wurde und präzisiert: „Es fehlt das Vertrauen, dass so etwas nicht nochmal geschieht.“
[ERKLÄRUNG: FFH steht für Flora-Fauna-Habitat. Der Schreck über den (von der ehemals alleinregierenden CDU begangenen) Betrug im Zusammenhang mit den FFH-Gebieten steckt vielen Landnutzern bis heute in den Knochen. Damals (um 2010) wurden weite Flächen – entgegen anderslautenden Versprechen der Politik – über die Köpfe der Eigentümer hinweg als Flora-Fauna-Habitat-Gebiete ausgewiesen und die Bauern mit erheblichen Einschränkungen bei der Bewirtschaftung belegt.]
Die Sitzung nähert sich ihrem Ende. Matthias Henne bedankt sich mehrmals bei seinem Gremium für den respektvollen Ton und schreitet zur Abstimmung. Dann geht alles ganz schnell. Für den Ausstieg aus dem Prüfprozess stimmt die deutliche Mehrheit. Henne schließt schwungvoll die Versammlung und das Publikum strömt aus dem Saal. Die Niederlage ist ihm überhaupt nicht anzumerken. Auch der SPHÄRMAN verlässt das Gebäude und geht durch das Wurzacher Tor Richtung Altstadt. Ein Glockenschlag tönt. Es ist punkt 20:15 Uhr.
Viel zu früh, um ins Bett zu gehen, entscheidet der SPHÄRMAN, und checkt die wenigen geöffneten Gastronomiebetriebe ab, bis er auf die gemütliche Wirtschaft „Weinstube Hasen“ stößt. Er tritt ein und macht es sich an einem Tisch bequem. Bald kommen Bier und Schwarzwälder Schinken. Der SPHÄRMAN kaut und lässt den Abend revuepassieren.
Da geht die Tür auf und eine große Gruppe von etwa 12 gutgelaunten Menschen drängelt in die Gaststube, setzt sich an den Nebentisch. Der SPHÄRMAN erkennt zwei Herren: Erich Fürst von Waldburg-Zeil und der junge „Allianz“-Chef mit dem Namen Ludwig Erbgraf von Waldburg-Wolfegg-Waldsee, den der SPHÄRMAN an seiner Cary-Grant-Locke identifiziert.
Manche behaupten, der Fürst sei das master mind hinter den Biosphärengegnern. Tatsache ist: Beide Adelige sind wichtige Akteure der Anti-Biosphären-Bewegung. Sie saßen zuvor auf der Galerie des Stadtsaales und verfolgten angespannt die Versammlung. Jetzt ist die Stimmung locker. Kein Wunder.
Der Aufmarsch biosphärenbewegter Menschen geht noch weiter. Nach und nach füllt sich der Tisch neben den „Allianz“-Leuten mit Mitgliedern des Gemeinderats. Die Zusammensetzung ist bunt. Alle Parteien des Gremiums sind vertreten: GRÜNE, Freie Wähler, SPD und CDU. Freunde und Feinde der Biosphäre sitzen nebeneinander und prosten sich freundlich zu. Auch Bürgermeisterin Monika Ludy ist dabei und wirkt gelöst. Der SPHÄRMAN hat den Eindruck: Alle sind froh, dass der Biosphärenspuk vorbei ist.
Sieht so SPALTUNG aus?
Nur einer fehlt bis der SPHÄRMAN nach über einer Stunde und drei Bieren im Bauch das Lokal verlässt: Oberbürgermeister Matthias Henne, der einsame Verlierer.
Am nächsten Morgen besichtigt der SPHÄRMAN nochmal die Stadt. Dabei platzt er in einen Gottesdienst unter dem prachtvollen Hauptschiff von St. Peter. Das hat er nicht gewollt, bleibt aber trotzdem in der Kirche, weil es hier so schön ist.




